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Die Aufrichtigen (German Edition)

Die Aufrichtigen (German Edition)

Titel: Die Aufrichtigen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonard Bergh
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es eine Verbrecherbande, so gäbe es einen Kopf und hätte man den Kopf, so könnte man ihn abschlagen wie den der Hydra und das Übel ausmerzen, ein für allemal. Aber es geschahen keine Verbrechen! Es handelten Menschen, die von der Richtigkeit ihres Tuns überzeugt waren, die das Beste wollten, für die anderen, für ihre Sache, für sich selbst. In diesem Bewusstsein manipulierten sie nicht, sondern bekehrten, halfen und ernteten Lob dafür, weil sie gegen widrige Umstände eintraten, die es ohne ihr Wohlmeinen vielleicht gar nicht gäbe. Kein Zweifel: es sind die Aufrichtigen, vor denen man sich am meisten hüten muss.
    Der Professor hatte vom Baum der Erkenntnis gegessen und verzweifelte darüber, nach dem Verzehr der verbotenen Frucht ebenso Appetit auf mehr zu haben, wie nach dem Verzehr einer beliebigen anderen Frucht. Dem Menschen geht es nicht um Sättigung, sondern um Steigerung des Genusses.
    Selbst bei dieser letzten Verrichtung ging es nicht nur einfach ums Sterben, sondern um eine absurde Steigerung des Genusses. Also wollte der Professor auf dieselbe Weise sterben, wie Sokrates, wie Seneca und all die anderen Inhaber der eigentlichen Wahrheit gestorben waren. Nach der Rezeptur des Tharasyas von Mantinea aus dem Jahr 370 v. Chr., für deren Authentizität er viel Forschungsarbeit aufwenden musste, hatte er sich am Dienstag, nach seinem Besuch in der Kanzlei, die Zutaten für den Schierlingsbecher besorgt, der Trunk für alle, die wussten, was andere nicht wissen wollten. Diese edle Form des Selbstmordes war jenen Stolzen vorbehalten, die die Einsamkeit der Wahrheit kannten. Mit dem Schierlingsbecher kamen sie der schmachvollen Hinrichtung, der Steinigung durch den Mob oder der unehrenhaften Verbannung zuvor. Dieser Tod allein schien dem Professor in seiner Lage angemessen.
    Vielleicht war es Zufall, dass sich in der Nähe des Friedhofs, wo seine kleine Tochter in der Urne schlief, eine Baustelle befand, die eher einer Schutthalde glich, weil dort schon seit langer Zeit nicht mehr gearbeitet wurde. Der Professor ging immer daran vorbei, wenn er Mariechen besuchte. Vielleicht war es auch Zufall, dass wegen des vorzeitig frühlingshaften Wetters in diesem Jahr die hohen Dolden des gefleckten Schierlings, der in großen Büschen auf der Baustelle wuchs, schon zahlreiche Knospen trugen. Die Pflanzen erregten sofort die Aufmerksamkeit des Professors, der sich schon seit Jahren mit antiken Hinrichtungsformen beschäftigte. Der beißende Geruch nach Mäusekot ließ keinen Zweifel daran, dass es sich bei den abstoßend aussehenden Pflanzen um den giftigen gefleckten Schierling handelte. Leider gelang es ihm nicht, Mohnsaft zur Opiumgewinnung zu bekommen. Da man das Opium nach dem Originalrezept des Tharasyas von Mantinea aber nur dazu gebrauchte, die heftigen Krämpfe und Lähmungserscheinungen zu lindern, die durch das Coniin, das Nervengift des Schierlingssafts, hervorgerufen wurden, verzichtete der Professor schließlich auf die Beigabe und verließ sich statt dessen auf die Beruhigungstabletten, die er sich hatte verschreiben lassen.
    Bis um Mitternacht kochte er die unreifen Früchte des gefleckten Schierlings aus, bis er glaubte, endlich eine ausreichende Menge für eine tödliche Dosis, mindestens ein Gramm Coniin, beisammen zu haben. In dem Saft löste er zehn Beruhigungstabletten auf und mischte ein Fläschchen Magenbitter dazu, um den ekelerregenden Geruch des Suds zu überdecken. Dann füllte er alles in die kleine Flasche, deren Inhalt sich nun in dem Becher auf seinem Schreibtisch befand.
    Nun hatte er genug gedacht, genug auf- und abgewogen. All das spielte keine Rolle mehr, es versank in Bedeutungslosigkeit. Er hatte einen Plan auszuführen, eine Pflicht zu erfüllen. Das Kruzifix stand hoch auf dem Sessel, die Bibel lag aufgeschlagen auf dem Schemel, der Schierlingsbecher stand bereit.
    Der Professor nahm den Brief seiner Frau fest in die Hand, ihn wollte er lesen, wieder und wieder, bis die Beruhigungstabletten ihn einschläfern und er durch das Gift langsam zu Atmen aufhören würde. Denn es war gut, mit jenen Worten auf den Lippen zu sterben, die seine Frau vor ihrem Tod zuletzt geschrieben hatte. Vielleicht würde es helfen, sie wiederzufinden. Er schloss die Augen und führte den Becher zum Mund. Seine Hände zitterten, er neigte den Becher, vergoss etwas von dem ekligen Gemisch, das brennend sein Kinn hinabrann und das reine Hemd beschmutzte, das er eigens für diese Stunde angelegt

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