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Die Aufrichtigen (German Edition)

Die Aufrichtigen (German Edition)

Titel: Die Aufrichtigen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonard Bergh
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können. Nichts kann abgeschlossen werden, solange es nicht restlos aufgedeckt und zugegeben worden ist. Nur das Gestandene kann vom Mantel der Geschichte umhüllt werden. Alles andere ist auf der Flucht, muss noch entdeckt und gesühnt werden. Beim Vorwärtsgehen schleppen wir unsere Taten wie eine Kette aus Mühlsteinen hinter uns her. Egal was wir tun, die Kette wird länger, Glied um Glied. Noch das Allerbeste hat irgendwo seine schlechte Seite. Irgendwann kann auch der Stärkste nicht mehr, die Mühlsteine ziehen ihn hinab. Von der Schuld des Vorwärtsgehens kann keine Religion befreien.
    Wenn Leo den Umschlag jetzt an Dr. Albertz aushändigte, würde nichts von dem ans Licht kommen, was dem Professor zum Verhängnis geworden war. Wer schweigt, ist nicht schuldig, er sieht dem Unkraut nur beim Sprießen zu. Aber mehr als einen Schattenplatz braucht es zum Gedeihen nicht. Leo presste das braune Papier fest zwischen die Finger. Er ging ins Foyer. Dr. Albertz stand an der Tür zu Bibliothek. Die Adern an seinen Schläfen waren hervorgetreten. Gleich würde sich sein Zorn entladen.
    Doch Leo drängte sich an ihm vorbei, klappte sein Macbook zu, steckte es zusammen mit einigen Habseligkeiten in seine Tasche und wollte hinaus. Dr. Albertz versperrte ihm den weg. Die Empfangsdame sah ängstlich zu ihnen herüber.
    »Blum, was sollen die Dummheiten?«
    Leo antwortete nicht.
    »Warum haben Sie den Umschlag nicht in den Safe getan? Was ist bloß los mit Ihnen?«
    Leo sah ihm direkt in die Augen. Er hatte keine Ahnung, was in ihn gefahren war.
    »Geben Sie den Umschlag endlich her! Er ist allein für mich bestimmt!«
    Leo hängte seine Tasche über die Schulter.
    »Was haben sie vor?«
    »Der Professor ist tot!«, rief ihm Leo entgegen. »Es gibt genau eine Person, die den Umschlag haben sollte.«
    Er schob den Chef beiseite und stürmte zur Kanzlei hinaus. Dass Dr. Albertz sich am Türstock festhielt, sah er nicht mehr.
    Vor der Treppe zur U-Bahn hörte Julia ihren Namen rufen. Sie drehte sich um. Leo stand vor dem Kanzleigebäude und schwenkte den Umschlag über seinem Kopf.
    »Frau Spohr, warten Sie!«, schrie er. »Ich habe den Umschlag, den Umschlag ihres Vaters.«
    Er rannte los. Ein Motor heulte auf. Quer über den Gehsteig schoss eine schwarze Limousine. Für einen Schrei war es zu spät. Leo wurde über die Motorhabe geschleudert und stürzte zu Boden. In seinem Kopf hämmerte es, seine Brille lag irgendwo. Verschwommen, halb betäubt, sah er den Fahrer aussteigen und wie einen dunklen Schatten auf sich zukommen. Doch der Fahrer kümmerte sich nicht um ihn. Er hob den Umschlag auf und ehe Leo richtig begriff, was geschehen war, setzte die schwarze Limousine zurück auf die Straße und fuhr mit quietschenden Reifen davon.
    Im nächsten Augenblick war Julia bei ihm.
    »Hast du den Mann erkannt?«, fragte sie.
    Leo schüttelte den Kopf.
    »Hat er den Umschlag?«
    Leo nickte.
    »Hier, deine Brille.«
    »Na wunderbar, Blum«, donnerte eine Stimme über ihnen. »Da haben Sie sich, wie der blutigste Anfänger, den Umschlag abjagen lassen!«
    Dr. Albertz stand auf dem Balkon im ersten Stock und sah auf Leo herab.
    »Sehen Sie, das ist genau das, was der Professor vermeiden wollte.«
    »Was sind Sie nur für ein abscheulicher Kerl«, fuhr Julia dazwischen.
    »Das war‘s dann für Sie, Blum. Kommen Sie bloß nicht wieder angekrochen. Und holen Sie gefälligst ihre Sachen ab!«
    Leo sank in sich zusammen. Einige Passanten umringten sie. Sogar ein paar Kanzleimitarbeiter waren herunter gekommen. Sollte er sich entschuldigen? Doch dann, ohne zu wissen warum, hörte er sich rufen: »Keine Sorge, ich habe schon alles mitgenommen!«
    Dr. Albertz zog nur eine Augenbraue hoch, ehe er den Balkon verließ. Leo spürte, wie sich die Hitze in seinem Körper ausbreitete.
    »Was für ein Kotzbrocken!«, sagte Julia, während die Leute auseinander gingen.
    Leo reagierte nicht.
    »Ist alles okay mit dir?«
    »Weiß nicht«, antwortete Leo.
    Weshalb duzte sie ihn? Sie stand auf und streckte ihm die Hände entgegen. Er ließ sich aufhelfen. Sein Jackett war am Ärmel eingerissen, die Handballen aufgeschürft. Er hatte Glück gehabt, keine ernste Verletzung, nur ein neuer Migräneschub, der seinen Kopf quälend langsam zu zerreißen drohte. Er presste seine Finger gegen die Schläfen.
    »Alles klar?«
    Leo nickte.
    »Nur diese höllischen Kopfschmerzen. Na ja, abgesehen davon, dass ich gerade über den Haufen gefahren worden bin und meinen

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