Die Aufrichtigen (German Edition)
Kommissar ging sofort ans Telefon. Er musste sich furchtbar aufregen. Leo konnte seine Stimme in Sophies Handy hören.
»Ich bin immer noch in Mainz.«
Sie nahm das Telefon vom Ohr weg.
»Ich habe mein Telefon heute Nachmittag ausgeschaltet. Dann habe ich vergessen, es wieder einzuschalten«, sagte sie, als das Brüllen in ihrem Handy abgeklungen war.
Sie erzählte in knappen Worten, was sie herausgefunden hatten. Danach schwieg sie längere Zeit. Der Kommissar schien sich beruhigt zu haben, denn Leo konnte seine Stimme nicht mehr hören.
»Was soll ich tun?«, fragte Sophie.
Leo trat näher zu ihr heran, weil er hoffte, irgendetwas von dem Gespräch zu verstehen.
»Ich habe hier einen Domaufseher, der den Jungen kennt!«, sagte Sophie ins Telefon. »Gut, ist gut. Sie können sich auf mich verlassen.«
Dann legte sie auf und steckte das Handy in ihre Tasche.
»Was ist los?«, fragte Leo.
»Stell dir vor, mein Chef hat mich gelobt! Was für ein Glück, dass wir nach Mainz gefahren sind!«
»Erzähl‘ schon, was er gesagt hat.«
»Ein Zeuge hat sich gemeldet, ein Arzt, der in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, als er mit dem Hund spazieren war, einen blutverschmierten jungen Mann an einer Straßenlaterne ganz in der Nähe des Hauses des Professors angetroffen hat. Er hat ihn mit zu sich nach Hause genommen, um eine tiefe Schnittwunde an der linken Hand notärztlich zu versorgen. Als er kurz das Zimmer verließ, um eine Beruhigungsspritze zu holen, ist der junge Mann verschwunden. Allerdings hat er seinen Mantel vergessen, in dem ein Handy steckte.«
»Und?«, fragte Leo.
»Es gehört einem Andreas Schürmann«, antwortete Sophie, »der hier in Mainz die zwölfte Klasse eines Gymnasiums besucht.«
»Dann ist er ja noch ein halbes Kind!«
»Er ist gerade neunzehn geworden. Der Kommissar hat alles für seine Verhaftung vorbereitet. Hinter dem Gutenbergmuseum bereiten sich gerade ein paar Kollegen auf den Zugriff vor. Mein Chef steigt gleich in den Hubschrauber und ist in einer dreiviertel Stunde hier. Wir sollen zum Treffpunkt kommen und auf ihn warten.«
Sie wandte sich an den Domaufseher und sagte: »Der junge Mann, den Sie Maiorinus nennen, steht unter dringendem Tatverdacht. Würden Sie ihn wieder erkennen?«
Der Domaufseher nickte.
»Ganz bestimmt.«
»Sehr gut, dann kommen Sie auch mit.«
Sophie stürmte über die Einfahrt auf die Straße. Leo und der Domaufseher folgten ihr. Nach wenigen Schritten bogen sie in die kleine Gasse, die zum Dom führte. Leo sah von Weitem die Mauernische, wo sie nur kurze Zeit zuvor in den Dom eingebrochen waren. Dort bewegte sich etwas! Sophie blieb stehen. Irgend etwas kam ihr merkwürdig vor. Sie drehte sich zu ihren Begleitern um und legte den Zeigefinger auf die Lippen. Im selben Augenblick erkannten sie, dass sich eine Gestalt an der Mauer hochzog. Das Licht einer Straßenlaterne fiel für einen Augenblick auf das Gesicht. Dann war der Schatten hinter der Mauer verschwunden.
»Das ist er!«, flüsterte der Domaufseher.
»Sind Sie sicher?«, fragte Sophie.
»Das war er, ganz bestimmt!«
Sophie legte die Stirn in Falten. Bis sie die anderen Polizisten verständigt hätten, würde eine Ewigkeit vergehen.
»Wir müssen ihm nach!«, sagte sie.
»Aber dein Chef«, wandte Leo ein.
»Du meinst, wir sollen auf ihn warten?«
»Keine Ahnung.«
»Ach was! Das ist meine Chance. Bis mein Chef da ist, ist es vielleicht zu spät!«
Pater Donatus saß mit zwei Priestern und ein paar Ministranten zu Häupten des Sarkophags in der Nassauer Kapelle und hielt eine Kerze in der Hand. Um den Sarkophag herum drängten sich etwa zwei duzend Gläubige. Die Kapelle war nur vom Schein der Kerzen erleuchtet, und hüllten alles in eine überirdische Atmosphäre. Der Pater hob seine Kerze hoch.
»Christus wird glorreich auf — »
Ein Luftzug ließ die Kerze verlöschen. Der Pater zuckte zusammen. Er zündete den Docht wieder an und hielt schützend die Hand vor die kleine Flamme. Es kümmerte ihn nicht, dass Gottes Licht hinter seiner Priesterhand für die Gläubigen verborgen blieb. War es nicht genug, dass er sah und die anderen glaubten? Streng genommen war es sogar besser, wenn nicht jeder das Licht Gottes sehen konnte. Am Ende hätte man die Priester gar nicht mehr gebraucht.
»Christus wird glorreich auferstehen«, hub er von Neuem an.
Wenn die Priester es nicht vor dem Erlöschen bewahrt hätten, wäre das Licht Gottes nicht längst von der Erde
Weitere Kostenlose Bücher