Die Aufrichtigen (German Edition)
Anerkennung zu bekommen. Der Pater gab dem Gespräch dann eine gänzlich andere Wendung. Er erzählte davon, wie er Priester geworden, dann aber im regulären Kirchendienst wenig Erfüllung gefunden und deswegen die diplomatische Laufbahn eingeschlagen habe, bis er endlich bei der Congregatio angelangt sei. Schließlich habe die Kirche stets Verwendung für außergewöhnliche Männer. Schon früh habe er bemerkt, wie entsetzlich eintönig ein Beruf sein könne, speziell wenn man ihn mit der Berufung verwechselte. Letztendlich wäre alles doch nur Routine, schrecklich öde Routine. Irgendwann habe man jede Betätigung so erschöpfend oft ausgeführt, dass sie – und sei sie auch noch so abwechslungsreich – unweigerlich an Reiz verlieren müsse. Etwas ganz anderes sei es da, wenn der Beruf nicht um seiner selbst Willen, sondern zur Erreichung eines bestimmten Zwecks eingesetzt werde. Schließlich habe man dann ein Ziel vor Augen, was die Alltäglichkeiten erträglicher mache. Die Tätigkeit trete hinter dem Ziel zurück. Das sei ein großer, ja sogar der entscheidende Unterschied.
»Was hast du für Ziele, Maximilian?«, fragte der Pater, nachdem er sich auf dem Sofa zurechtgesetzt hatte.
Dr. Albertz schwieg. Er kannte die Antwort noch nicht.
»Nun?«
»Man muss damit aufhören, von der Hand in den Mund zu leben«, sagte Dr. Albertz ohne recht zu wissen, warum.
Pater Donatus staunte. Er fand die Antwort nicht unpassend, allenfalls ein wenig schlicht.
»Tust du das denn bislang?«, fragte er.
»Nein, so meine ich das nicht. Verstehst du, es muss etwas Bleibendes sein, etwas, das einen überdauert, etwas, das zeigt, dass man da gewesen ist. Ich möchte tun, was jeder Mann sich wünscht.«
Donatus erhob sich und streckte Dr. Albertz die Rechte hin. Der ergriff die Hand, und für ein paar Augenblicke herrschte eine beinahe feierliche Spannung zwischen den Männern.
»Männer wie du müssen eine Dynastie gründen«, sagte er »Die Welt braucht Männer, die sich nehmen, was ihnen zusteht. Lass mich bei Gelegenheit wissen, was Ernst zu meinem Entgegenkommen sagt.«
Nach ein paar Tagen traf sich Dr. Albertz mit Pater Donatus im bischöflichen Palais. Als er es nach einer knappen Stunde wieder verließ, war er blass, doch in seinen Augen loderte das Feuer des Siegers. Was kümmerte es ihn, welche Vorbehalte man im Vatikan noch hatte. Sollten sie ihr Kirchengericht doch anrufen, er hatte seinen Vergleich und würde dem Professor das Ergebnis schon schmackhaft machen.
Nach diesem Tag veränderte sich die Welt. Dr. Albertz bezog sein neues Büro, die ganze erste Etage jenes mondänen Gründerzeithauses in der Leopoldstraße. Das Messingschild der alten Kanzlei ersetzte er durch eines aus weißem Carrara-Marmor und um die Einrichtung kümmerte sich ein renommierter Innenarchitekt, den der Erzbischof persönlich empfohlen hatte. Dr. Albertz sah selbst seine kühnsten Träume erfüllt. Nun war er bereit, die weltlichen Geschäfte seines neuen, exquisiten Klientels zu besorgen.
Professor Spohr freute sich aufrichtig über den erfolgreichen Abschluss. Er musste seine Thesen nicht widerrufen und bekam ein Vermögen für ein Manuskript, das ihm vielleicht kein Verlag abgekauft hätte. Als er dann auch noch erfuhr, dass seine Frau zum zweiten Mal schwanger war, fühlte er sich wie im Paradies. Professor Spohr war glücklich.
Doch das Kind kam nicht zum vorausberechneten Zeitpunkt. Tag um Tag verging, ohne dass die Wehen einsetzten. Da Frau Spohr noch jung und gesund war, bestand jedoch kein Grund zur Besorgnis.
Der Professor war nicht zu Hause, als es an der Haustür klingelte und ein Bote einen versiegelten Umschlag für ihn übergab. Mit klopfendem Herzen brach Frau Spohr das Siegel, im vollen Bewusstsein, hierzu nicht befugt zu sein. Sie riss den Umschlag auf und hielt ein Dekret der Rota Romana, des obersten Gerichts des apostolischen Stuhls, in den zitternden Händen. Es verhängte gegen Ernst Adeodatus Spohr, doctor philosophiae und ordentlicher Professor für Kirchengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwigs-Maximilians Universität zu München nach Canon 1364 § 1 des Corpus Iuris Canonici das Interdikt, die Exkommunikation, weil er ein Apostat und Häretiker sei und seine Schrift »Die Konstantinische Schenkung – von Lorenzo Valla bis Ignatz von Döllinger« das Ansehen der heiligen Mutter Kirche beschädigt habe. Da er nicht bereit gewesen sei, die in dieser Schrift aufgestellten
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