Die Aufrichtigen (German Edition)
Behauptungen zu widerrufen, sei er als Schismatiker anzusehen, weswegen die Exkommunikation als Tatstrafe zu verhängen war. Die römische Rota habe das Verfahren auf Antrag eines namentlich nicht zu nennenden Geistlichen nach Canon 1444 § 2 an sich gezogen. Nach Canon 1342 sei durch Dekret und damit nach Aktenlage zu entscheiden gewesen, da gerechte Gründe gegen eine mündliche Verhandlung gesprochen hätten. Schließlich habe der Professor bereits in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht gezeigt, dass er unbelehrbar und nicht Willens sei, auf den rechten Pfad zurück zu kehren.
Als der Professor später nach Hause kam, hob er das zerknüllte Papier vom Boden auf. Er las es und warf es von sich wie eine glühende Kohle. Sein Herz verdunkelte sich. Dann bemerkte er, dass es totenstill im Haus war. Er traf in der Klinik ein, als die Notoperation gerade abgeschlossen war. Seine Frau war mit blutendem Unterleib in die Klinik eingeliefert und sofort in den OP gebracht worden. Wie es dazu gekommen war, erfuhr der Professor nicht, nur dass das Kind, ein kleines Mädchen, schon seit ein paar Tagen im Mutterleib nicht mehr ausreichend versorgt worden war, was zu schweren Organschäden geführt hatte. Die Mutter, sagte ein Arzt, habe man retten können, das Kind aber würde auf dem Tisch bleiben.
Der Klinikgeistliche wurde geholt, um dem sterbenden Kind die Nottaufe zu spenden. Als er die Eltern aufforderte, stellvertretend für das Kind den Taufwillen zu bekunden, wandte der Professor ein, heute mit dem Interdikt des Papstes belegt worden zu sein. Der Geistliche klappte das Messbuch zu, nahm die Stola vom Nacken und verabschiedete sich, wobei er bedauerte, in diesem Fall die Kindstaufe nicht spenden zu dürfen. Die Ärzte stellten Frau Spohr mit einem starken Mittel ruhig. Das ungetaufte Mädchen starb nur eine Stunde später in den Armen ihres Vaters. Er gab ihr den Namen Marie.
In dieser Stunde, sagte sich Dr. Albertz, als er den Vorhang wieder schloss und zum Schreibtisch zurückkehrte, muss der flammende Hass, die ganze Kampfeslust des Professors entbrannt sein, die ihn zum erbittertsten Gegner der Kirche werden ließen. Welchen Anteil hatte er selbst an diesem unglücklichen Leben? Er wußte, dass sich ein Abgrund auftun würde, wenn er jetzt, an diesem Punkt, weiter dächte. Wer hätte vorhersehen können, dass ein Mann wie der Professor das Interdikt so ernst nehmen würde. All die Jahre schien doch alles in bester Ordnung gewesen zu sein. Ernst Spohr war berühmt geworden, der wichtigste Kirchenkritiker und einer der besten Historiker des Jahrhunderts. Hatte er nicht selbst gesagt, dass es die größte Leistung, ja das größte Glück seines Lebens gewesen sei, den Katholizismus überwunden zu haben?
Dr. Albertz klappte die Akte zu und lehnte sich zurück. Er glaubte nicht, dass der Professor von der Kirche ermordet worden war. Irgend jemand hatte Interesse an dem Gutachten über die Fragmente des Ammianus Marcellinus. Wem war der Professor in die Quere gekommen?
Dr. Albertz rieb sich die Augen. Noch ein Schluck Whisky und er würde für heute Nacht keine quälenden Gedanken mehr haben. Vorher aber wollte er noch herausfinden, wer den armen Professor auf dem Gewissen hatte. Er nahm den Hörer ab und wählte. Pater Donatus‘ Nummer kannte er auswendig.
Wesensgleicher Sohn
Wäre der Arianerstreit nicht von so großer historischer Bedeutung, müsste man über seinen religiösen Hintergrund einfach lachen. Ist Jesus wahrer Gott, eines Wesens mit dem Vater, wie die Orthodoxen und Katholiken behaupteten und heute noch behaupten, oder ist er es nicht, wie die Mehrzahl der orientalischen Bischöfe meinte? Sie zerfielen in mehrere Splittergruppen, radikaler und weniger radikal, die Semiarianer, die Homöusianer und die Anomöer. Die Arianer hielten Jesus für ein von Gott geschaffenes Geschöpf und stritten sich nur über den Grad seiner Vollkommenheit.
Tatsächlich buhlten die Metropolen Alexandria und Antiochia um politische Vorherrschaft. Bis zur Mitte des 4. Jahrhunderts galt der Bischof von Alexandria, der sich mit dem Titel Papa, also Papst, ansprechen ließ, als wichtigster Bischof, lange noch bevor die Christenheit den Bischof von Rom besonders beachtete. Vielleicht befand man sich dort bereits in Lauerstellung, vielleicht war noch kein Platz für einen Religionsfürsten neben dem römischen Kaiser. Der Klerus des Westens entwickelte subtilere Methoden der Einflussnahme, wirkte im Hintergrund, als
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