Die Aufsteigerin
eine Schulter zum Ausweinen bieten.
Sie hatte für ihn gekocht, ihn veranlasst zu essen und ihn gedrängt, Make-up aufzulegen und seine Perücke zu tragen. Polizei und Presse hatten ihn endlich in Ruhe gelassen, und Tommy sorgte dafür, dass sie niemand sonst belästigte.
Die Leute meinten es ja gut, aber immer wieder zuhören zu müssen, wie sie sich in Lobhudeleien über Joey ergingen, belastete Desrae, der Joey aufrichtig geliebt hatte.
Es klingelte an der Tür, und beide schreckten auf.
»Hör gar nicht hin. Die verschwinden schon wieder. Und den Hörer lassen wir neben dem Apparat liegen.« Cathy klang angespannt.
Länger als fünf Minuten saßen sie da und hörten auf das beharrliche Läuten. Schließlich stand Cathy doch auf. Sie stürmte aus dem Zimmer und verkündete: »Ich werde denen sagen, sie sollen sich verpissen und uns zufriedenlassen!«
Als sie die Eingangstür öffnete, erblickte sie ein Gesicht aus der Vergangenheit. Nie hätte sie es für möglich gehalten, es noch einmal wiederzusehen.
»Hallo, Cathy, lange nicht gesehen.«
Beim Klang von Eamonns Stimme fühlte sie sich zurückversetzt nach Bethnal Green und hörte Madge aus der Küche rufen und zetern. Es war derselbe Eamonn, der Mann, von dem sie geträumt hatte, den sie geliebt und dem sie als Kind vertraut hatte.
Ihr wurde bewusst, dass sie wie Desrae nur einmal lieben würde, und das mit Leib und Seele.
»Fragst du mich nicht, ob ich reinkommen will? Auf eine Tasse Tee?«
Jetzt kamen ihr die Tränen. Sie warf sich in seine Arme. Als er sie festhielt und ihr tröstliche Worte ins Ohr flüsterte, kam es ihr vor, als sei sie endlich daheim angekommen. Die bittere Trennung von damals war vergessen. Er war das letzte Teil im Puzzle ihres Lebens, fügte sich ein neben Desrae und Joey. Ihre erste Liebe, ihre einzige romantische Liebe, ihr Seelenverwandter. Alles, was er getan hatte, war wie weggewischt, als sie seine Stimme hörte. Sie beide gehörten zusammen.
Eamonn lächelte, und um Cathy war es geschehen.
Als sie zurücktrat und ihn mit Blicken verschlang, registrierte
sie als Erstes, dass er rundherum Mann geworden war, und als er sie berührte, war sie nur noch Frau. Diese Wirkung sollte er in den kommenden Jahren behalten. Cathy sah Eamonn wie durch eine rosarote Brille und war doch auch geblendet. Nichts und niemand sollte je wieder vergleichbare Gefühle in ihr wecken.
Als sie ihn in die Wohnung zog und die Tür schloss, strahlte sie, und Freudentränen standen ihr in den Augen. Sie führte ihn ins Wohnzimmer und rief aufgeregt nach Desrae. So überwältigt war sie von ihren Gefühlen, dass sie etwas Entscheidendes nicht bemerkte: Desrae und Eamonn empfanden spontan heftige Abneigung füreinander. Es ging blitzschnell, aber beiden war es von der ersten Sekunde an klar, als sie sich zu Gesicht bekamen.
Dass etwas nicht stimmte, blieb Cathy verborgen, so groß war ihre Freude, Eamonn wieder in der Nähe zu haben.
Wie in alten Zeiten hatte sie nur Augen für ihn.
Kapitel dreißig
Desrae war sehr still, und Cathy schrieb es dem Kummer über Joey zu. Im grellrosa Schlafzimmer stellte sie eine Tasse Kaffee auf dem Nachttisch ab. Sie strahlte.
»Ich kann es gar nicht fassen, dass Eamonn zurück ist. Ich hätte nie gedacht, dass ich ihn wiedersehen würde.«
Desrae setzte sich auf, zündete sich eine Zigarette an und nahm einen langen Zug. »Ich dachte schon, er würde überhaupt nicht mehr gehen«, sagte er missmutig. »Die halbe Nacht wach, hört nicht auf zu quasseln und zu lachen …« Er redete nicht weiter.
Es tat Cathy leid, und sie sah ihren Freund beinahe flehentlich an. »Bitte, Desrae«, sagte sie, »er gehört zu meinem Leben. Ich habe nicht mehr so gelacht seit … Ich weiß nicht. Seit Joey. Wir haben doch nur in Erinnerungen an unsere Kindheit geschwelgt.«
Desrae verlor plötzlich die Beherrschung. »Hast du ihm gesagt, dass du nie mehr nach deiner Mutter fragst, ja? Hast du ihm gesagt, dass sie die volle Strafe absitzen muss und dass du nichts von ihr wissen würdest, wenn nicht Susan P. gewesen wäre? Hast du ihm gesagt, dass man sie auf die Geschlossene bringen musste, weil sie völlig durchgedreht ist - hast du ihm das gesagt, ja? Dass sie von einer Mitgefangenen angegriffen wurde, die ihr das Gesicht aufgeschlitzt hat …«
Cathy war bleich geworden und starr. »Stimmt das etwa alles, Desrae? Geht es ihr wirklich so schlecht da drinnen?«
Desrae schluckte, denn jetzt tat ihm der Gefühlsausbruch leid.
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