Die Aufsteigerin
deswegen Joeys Abgang. Sein Sohn Tommy wollte hinterher natürlich O’Hare an den Kragen, aber du bist ihm zuvorgekommen. Tommy hat aber scheinbar vergessen, dass sein Vater für die Goldbarren-Räuber eine Menge von ihrer Beute versteckt hatte - erinnerst du dich noch an den Coup in den späten Sechzigern? Die Jungs von damals sind alle noch im Knast. Joey war ein Ganove von der alten Schule. Er wusste, wo die Barren waren, aber behielt es für sich und hat nie was abgezweigt, sondern damit gerechnet, dass er für sein Schweigen bezahlt würde, wenn die Jungs aus dem Bau kamen … Irgendwann hat jemand O’Hare gesteckt, dass die Barren irgendwo lagern, und O’Hare beschließt, er will alles: London und das Gold. Dummerweise hat er aber mich auf Joey Pasquale angesetzt, ohne den vorher auszuquetschen, wo die Beute versteckt ist.«
Er nahm noch mal einen großen Schluck und fuhr dann fort.
»Der einzige Mensch, der weiß, wo genau das Zeug zu finden ist, ist Tommy Pasquale, und der Trottel O’Hare hätte das bedenken
sollen. Ich hab angenommen, dass Tommy am selben Tag erledigt würde, damit Vater und Sohn aus dem Weg wären. Aber anscheinend hat O’Hare sich dagegen entschieden. Vielleicht hat er ja Tommy für einen kleinen Wichser gehalten, ich weiß nicht. Tommy wird übrigens nicht begeistert sein, dass du ihm dabei zuvorgekommen bist, den Liverpooler auszuschalten. Aber er würde wohl auch nichts dagegen haben, dir zum Dank die Hand zu schütteln. Kann ich mir vorstellen … Bleibt nur noch einer, der das Versteck kennen könnte, und das ist ein Typ namens Desrae. Joey Pasquale, Ehemann und Vater, war nämlich nach Feierabend als Schwuchtel unterwegs, und Desrae war für ihn Freund und Freundin in einer Person. Die beiden haben kürzlich für reiche Schwule einen Club in der Wardour Street aufgemacht. Tommy kommt mit dem Lover von seinem Vater anscheinend bestens aus. Sie, er oder es hat vor ein paar Jahren auch eine Göre aufgenommen, die Cathy Connor heißt …«
»Cathy Connor? Wie sieht sie aus? Wie alt ist sie?«
Eamonns Stimme überschlug sich beinahe. Lee Bonham stellte sofort fest, dass er hier über eine Information verfügte, an der sein Gegenüber äußerst interessiert war.
»Sie ist blond, um die zwanzig. Hübsches kleines Ding, große blaue Augen und tolle Titten. Aber anschaffen tut sie nicht, nichts dergleichen. Sie schmeißt zusammen mit Desrae die Bar und ist absolut sauber. Für Joey war sie wie eine Tochter. Er hat sie echt geliebt. Als wär Desrae die Mama und er der Papa gewesen. Doch irre, hm? Aber sie haben sich gut um die Maus gekümmert. Sie lebt mit Desrae in einer kleinen Wohnung in Soho - in der Greek Street, glaub ich. Soll wohl im Sinn haben, auch mal die Madame zu spielen. Lässt sich jedenfalls von niemandem was sagen. Verständlich, wo sie doch Joey hinter sich hatte … Ich mein, der war doch ein schweres Kaliber, äh?«
Eamonn zuckte die Achseln. Er hatte sich wieder gefangen. »Anscheinend war O’Hare da anderer Meinung.«
Lee grinste. »O’Hares Meinung ist wohl kaum mehr maßgeblich, oder?«
»Woher weißt du all diese Sachen?«
»Ich bin eben Spezialist. Es gibt nur wenige von uns, und im Rahmen unserer Arbeit kommt uns so manches zu Ohren. Ich mein, wir müssen doch verschwiegen sein wie ein Grab, oder? Also kommt den Leuten uns gegenüber schneller was von den Lippen. Ist schon komisch, wie sie die Morde mir und sich selbst gegenüber rechtfertigen möchten. Ich kenne keine Loyalität, weder einem Menschen noch einer Bande gegenüber. Ich kill jeden, jederzeit und an jedem Ort.«
Eamonn schmunzelte. »Das behalt ich im Kopf. Und ich sorge dafür, dass du deine zwanzig Riesen bekommst.«
Lee nickte erfreut. »Noch ein Bier?«
Eamonn schüttelte den Kopf. »Ich nehme einen doppelten Scotch.«
»Was immer es sein darf, die Runde geht ja auf dich«, scherzte der Auftragskiller. »Ich geh erstmal pissen.«
Jetzt musste Eamonn wirklich lachen. Er ging an den Tresen und bestellte. Er mochte Lee Bonham - der Mann war von geradezu erfrischender Ehrlichkeit.
Cathy machte Desrae noch einen Kaffee und gab einen großzügigen Schuss Weinbrand dazu.
In den Wochen seit Joeys Tod hatte Desrae zwischen tiefster Niedergeschlagenheit und einer nicht zu zügelnden Euphorie geschwankt, wenn er sich einredete, dass Joey gar nicht tot war. Cathy wusste, dass erst die Beerdigung Desrae in die Wirklichkeit zurückholen würde. Bis dahin konnte sie ihm nur zuhören und
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