Die Aufsteigerin
Jungen geredet, geschweige denn einen geküsst.« Sie lachte sarkastisch. »Das hab ich inzwischen reichlich nachgeholt. Jedenfalls hat er mich gezwungen, und danach geschah es jede Nacht. Und es ging vier Jahre so, bis ich dann schwanger wurde. Ich hab damals in Bath, wo ich geboren bin, bei Woolworth gearbeitet und war so verdammt naiv, dass ich die Schwangerschaft nicht geschnallt habe. Irgendwann hat mich eine Frau gefragt, ob ich in Schwierigkeiten wäre. Als ich sie verständnislos ansah, fragte sie, ob in der letzten Zeit meine Periode ausgeblieben sei … Kurz gesagt, ich war schwanger, und zwar im fünften Monat. Und mein Vater war der Vater. Er tat erstaunt und empört, als die Frau mich nach Hause begleitete und ihn verdächtigte. Ich wurde in ein Heim für ledige Mütter verfrachtet. Er drohte mir, wenn ich jemandem die Wahrheit sagte, würde er meine Mutter aus dem Grab holen und ihr schwören, ich hätte ihn verführt. Die beiden waren religiöse Fanatiker. Morgens, mittags und abends drohten sie mir mit dem Zorn ihres Herrgotts. Damals wurde mir klar, wer die wirklichen Sünder sind. Nicht die Kriminellen und Diebe, sondern die verlogenen Schweine, die sich hinter einer Fassade von Rechtschaffenheit verstecken - wie die Abgeordneten und Gutmenschen, denen ich heute ihre Wünsche erfülle. Der Junge kam zur Welt und wurde adoptiert. Ich hatte ihn nur eine Woche
bei mir. Er war sehr niedlich, aber ich empfand nichts für ihn. Ich hatte inzwischen erfahren, was Inzest war, und wurde auch über alles andere aufgeklärt. In solchen Heimen erfährt man alles Mögliche. Ich vermute, das weißt du aus eigener Erfahrung. Nach dem Heim kam ich zurück zu meinem Vater, der inzwischen mit einer anderen Frau und deren beiden Töchtern zusammenlebte. Ich ahnte, dass er die Mädchen ebenfalls missbrauchen würde, und machte, dass ich so schnell wie möglich wegkam. In London dauerte es eine Woche, bis ich anschaffen ging, und gerade mal zehn Tage, bis ich unter dem Schutz eines Zuhälters stand, der Johnny O genannt wurde. Ich ließ mich auf ihn ein, und er mochte mich. Wir zogen zusammen und machten unseren Reibach. Nach unserer Trennung schlug ich meinen Weg ein, und Johnny wurde von einem Schwarzen ermordet. Ein Jahr später sorgte ich dafür, dass mein Vater überfahren wurde, und ließ es so aussehen, als hätte jemand Unfallflucht begangen. Mehr konnte ich nicht tun, um mich zu rächen und andere kleine Mädchen zu schützen, in deren Nähe er hätte kommen können … Wäre jedoch ein Desrae aufgetaucht - und eben deswegen erzähle ich dir die Geschichte, Cathy -, säße heute ein besserer Mensch vor dir. Desrae hat das Allerbeste für dich im Sinn und möchte dich zu einem anständigen Menschen machen. Was deine Mutter betrifft, so hat er nur versucht, dich zu beschützen. Er wusste, dass es dich belastet hätte, von den Problemen zu erfahren, die Madge im Knast hat. Nichts ist wichtiger, als die Menschen zu beschützen und zu schonen, die man liebt, ob es die Eltern sind, ein Partner oder Freunde. Desrae liebt dich wie eine eigene Tochter. Kein anderer Mann wird dir je diese Liebe entgegenbringen. Vergiss das nie. Er wollte dich schonen, indem er dich im Ungewissen ließ. Wirf ihm das nicht vor, sondern sei ihm dankbar dafür, dass er dir so viele leidvolle Jahre erspart hat.«
Cathy trank ihren Irish Coffee und seufzte. Ihr Gesicht war im Nachmittagslicht so wunderschön, dass Susan P. ganz unwillkürlich
überlegte, wie viel sie von einem ihrer Kunden für Cathy verlangen könnte. Sie schalt sich für den Gedanken, aber dieses Taxieren war schon zum Reflex geworden.
»Ich hab meine Mom geliebt, trotz alledem, Susan«, sagte Cathy leise.
Susan P. lachte und lockerte dadurch die Stimmung. »Aber natürlich hast du sie geliebt, denn sie ist und bleibt doch deine Mutter.«
»Werden Sie mir in Zukunft die Wahrheit sagen?«, fragte Cathy.
Susan P. nickte. »Ich werde dir sofort die ganze Wahrheit sagen: Sie will nichts mehr von dir wissen. Tut mir leid, aber das ist die Wahrheit. Sie gibt dir an allem die Schuld. Sie ist ein elendes, selbstsüchtiges Miststück, und ich schätze, das weißt du auch. Weil Desrae mich jedoch darum gebeten hat, sorge ich dafür, dass es ihr einigermaßen geht. Weil ich mich eingeschaltet habe, wird sie mit Respekt behandelt und kann ihre Strafe in Frieden absitzen. Dass sie in der geschlossenen Psychiatrie sitzt, verdankt sie ebenfalls mir. Dort ist sie nämlich sicher, wird
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