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Die Augen der Medusa

Die Augen der Medusa

Titel: Die Augen der Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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machen und einen frischen Mann den Rest erledigen lassen.
    Donato wusste, dass alles von ihm abhing. Als er sich, immer auf der Hut vor Patrouillen, an den Hauswänden entlangdrückte, ging ihm durch den Kopf, was der Kameramann Miguel über Medien-Inszenierungen erzählt hatte. Von Politikern, die entschlossen durch verseuchte Flüsse schwammen oder, wenn sie zu hölzern wirkten, durchsickern ließen, wo man sie beim innigen Kuss mit ihrer neuen Modelfreundin filmen könne. Von alternden Rockstars, die eigentlich gern einen gemütlichen Fernsehabend verbringen wollten, aber das Gerät aus dem Hotelzimmerfenster werfen mussten, weil sie sonst nie mehr in die Schlagzeilen kommen würden. Von Schauspielern, die Tausende von Euro für Flugtickets ausgaben, nur um Erdbebenopfern in irgendeinem Teil der Welt ein paar gespendete Decken höchstpersönlich umzuwickeln.
    Keiner wusste besser als die Medienleute selbst, dass all diese Spektakel nur wegen ihnen aufgeführt wurden. Eigentlich sollten sie berichten, was sich in der Welt ereignete, hatte Miguel gesagt, doch inzwischen war es eher umgekehrt. Ereignisse wurden künstlich in die Welt gesetzt, nur damit über sie berichtet wurde. Und doch verweigerte sich niemand in der Medienbranche. Man brauchte eben Bilder, die das Publikum interessierten.
    Donato war sicher, genau solche Bilder anbieten zu können. Das Problem war nur, dass die von Canale 5 ihm das wahrscheinlich nicht glauben würden. Schon gar nicht, wenn er sagte, dass auf diese Weise ein Menschenleben zu retten sei. Wieder mal euer unschuldiger Minh?, würden sie fragen und dabei vermuten, dass Donato sie nur aus seinem Haus hinauskomplimentieren wolle. Gerade wenn draußen der Angriff begann! Donato schaute nach links und rechts aus. Keine Patrouille war zu sehen. Er rannte unter der Laterne durch und quer über die erleuchtete Gasse. Die Wahrheit scherte niemanden, das durfte er nicht vergessen. Es ging um bebilderten Nachrichtenstoff.
    Als er seine Haustür erreichte, schlug ihm das Herz bis zum Hals. Wenn es ihm nicht gelang, die Fernsehleute so zu elektrisieren, dass sie ihre Gerätschaften hastig zusammenrafften und hinter ihm her eilten, war alles verloren. Nicht nur für Minh, sondern auch für ihn selbst. Bis in alle Ewigkeit würde er als derjenige gelten, der aus lauter Raffgier sein Haus aufgegeben, seine Frau vertrieben und seine Seele an Canale 5 verkauft hatte. Und der, wenn es darauf ankam, nicht im Stande war, diesen Pakt mit dem Teufel zur Rettung von Minh auszunutzen. Man würde ihm nicht einmal Vorwürfe machen. Es würde niemanden interessieren, warum er es nicht geschafft hatte. Sie würden ihm auf der Piazza ausweichen und sich denken, dass man von so einem wie ihm wirklich nicht mehr erwarten konnte.
    Und vielleicht stimmt das ja sogar, dachte Donato, als er die Treppe zum Schlafzimmer hinaufstieg. Vielleicht warer ja der geborene Versager, vielleicht war er herzlos wie ein 1,6-Liter-Motor und dumm genug, wegen ein paar hundert Euro seine Ehe zu verspielen. Vielleicht sollte er sich damit abfinden. Einfach akzeptieren, dass er nicht zu den selbstlosen, warmherzigen, erfolgreichen und sympathischen Zeitgenossen gehörte. Donato stieß die Tür zu seinem Schlafzimmer auf.
    Miguel filmte aus dem Fenster. Um ihn herum standen sechs Leute, von denen Donato nur die Reporterin kannte, der er das Zimmer vermietet hatte. Sie regte sich über die Hosenscheißer auf, die endlich mal mit ihrer Aktion zu Potte kommen sollten. Dass die Staatspolizei ihren Panzerwagen gerade zurückgezogen hatte, begriff Donato erst mit Verzögerung. Ihn beachteten die Fernsehleute nicht. Warum sollten sie auch?
    Donato ging bis zur Bettkante vor und sagte: »Wenn Sie wissen wollen, wo wirklich etwas los ist, sollten Sie mich fragen, Frau Guglielmi!«
    »So?« Die Reporterin sah ihn kaum an.
    »Wären Sie an einem Interview mit den Geiseln interessiert? Inklusive Bildmaterial?«
    »Sehr witzig!«, sagte Anna-Maria Guglielmi.
    »Sie sind im Untergeschoss von Minhs Büro eingesperrt. Wir haben einen Tunnel dorthin gegraben und ein Loch durch die Wand gebohrt.«
    Die Reporterin lächelte dünn. »Sehen Sie, wir haben genug zu tun, Herr …«
    Sie schien Donatos Namen vergessen zu haben, machte sich aber nicht die Mühe nachzufragen. Ohne den Satz zu beenden, wandte sie sich wieder zum Fenster. Für sie war Donato ein Wichtigtuer, ein Nichts, dem jede Lüge gelegen käme, um für einen Moment aus der eigenen

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