Die Augen der Medusa
auszusetzen, um Minhs Leben zu retten. Ein indirekterBlick war viel effektiver. Wie der Medusa Perseus’ glänzender Schild, würden dem Geiselnehmer Millionen von TV-Bildschirmen zum Verhängnis werden. Dafür brauchte man nicht einmal die halbe Mauer in Salviatis Keller niederzulegen. Ein kleines Loch an der richtigen Stelle würde genügen, gerade groß genug, um mit einer Fernsehkamera hindurchfilmen zu können. Vielleicht gelang es sogar, ein solches Loch zu bohren, ohne dass der Killer drüben es bemerkte.
»Es könnte klappen«, sagte Angelo Sgreccia leise. Dann schüttelte er den Kopf. »Es hätte klappen können, aber wir sind zu spät dran. Die NOC S-Agenten sind doch schon …«
Er brach ab. Man hörte nur noch das Gehämmere aus dem Tunnel. Matteo Vannoni hatte wohl gar nicht mitbekommen, worüber sie gesprochen hatten.
»Und außerdem kriegen wir keinen Kameramann her. Die glauben uns doch kein Wort«, sagte Elena Sgreccia.
Der Krach der Hammerschläge ließ vermuten, dass Matteo Vannoni nun ohne Meißel arbeitete. Er drosch direkt auf die Steine ein. Wild und mit einer übermenschlichen Kraft, wie sie nur eine aberwitzige Hoffnung verleiht. Vielleicht konnte sie ja auch die Zeit stillstehen lassen. Oder zumindest den Sturmangriff so lange verzögern, bis sie so weit waren.
»Das TV-Team ist Donatos Aufgabe!«, sagte Franco.
»Alles klar«, sagte Donato.
»Ich kümmere mich um die Polizeipatrouillen«, sagte Marta Garzone.
»Ich löse Matteo ab«, sagte Mamadou.
»Ich muss kurz nach Hause. Mir ist da so eine Idee gekommen.« Franco sah auf die Uhr. »Noch sechsunddreißig Minuten bis zu den TG 5-Hauptnachrichten!«
»Das schaffen wir!«, sagte Angelo Sgreccia.
»Na, dann los!«, sagte Antonietta. »Ab sofort läuft unsere eigene Operation Medusa.«
Donato und Franco liefen die Treppe hinauf. Marta Garzone griff zum Handy und rief Milena an. Die war mitsamt ihren drei Kindern schon aufgebrochen, aber nicht weit gekommen, weil ihnen eine Polizeipatrouille begegnet war. Sie waren Hals über Kopf umgekehrt und zurückgelaufen, als sich plötzlich die Tür von Francos Haus rettend geöffnet hatte. Lidia Marcantoni war auf der Suche nach Costanza, dem dritten der Geschwister, bei Anbruch der Sperrstunde dort gestrandet. Nun saß Milena mit den Kindern in Francos Wohnzimmer, wehrte Lidias neugierige Fragen ab und wartete, bis draußen die Luft rein war.
»Wie geht es den Kindern?«, fragte Marta Garzone am Telefon.
»Ausgezeichnet«, antwortete Milena. »Sie kapieren ja nicht, worum es geht, und amüsieren sich prächtig. Dass wir geflohen sind und uns hier versteckt haben, finden sie ganz klasse. Wann kann man schon mal mit echten Polizisten Räuber und Gendarm spielen?«
»Genau darum wollte ich dich bitten«, sagte Marta.
»Wie bitte?«
Marta berichtete kurz von der neuen Operation Medusa, die sie gerade angeleiert hatten. Am Ende sagte sie: »Und dazu ist es nötig, dass Donato das Canale 5-Team von seinem Haus hierher führt. Unentdeckt. Mit Kameras, Leuchten und der ganzen anderen technischen Ausrüstung.«
»Ich soll den Hasen für die Polizei abgeben?«, fragte Milena.
»Es ist nicht nur eine Patrouille unterwegs«, sagte Marta.
»Ich und meine Kinder?«, fragte Milena ungläubig. »Bist du wahnsinnig?«
»Sie sollen doch nur in die richtige Richtung davonlaufen. Wer als Letzter gefangen wird, erhält den Hauptpreis.«
»Das kommt überhaupt nicht in Frage!«
»Den Hauptpreis stifte ich«, sagte Marta. »Eine Medaille mit der Aufschrift: Für einen entscheidenden Beitrag, Minhs Leben zu retten.«
Am anderen Ende herrschte Stille.
»Milena?«
Im Hintergrund erzählte Milenas Ältester, Davide, irgendetwas. Die Worte waren nicht zu verstehen.
»Milena, ich muss auflegen«, sagte Marta. »Donato ruft mich an, wenn er die Fernsehleute so weit hat.«
»Gib mir Bescheid!«, murmelte Milena. Bevor sie die Verbindung unterbrach, hörte man sie ihre Kinder fragen, ob sie nachher mit den so lustig verkleideten Polizisten Fangen spielen wollten.
Marta legte das Handy auf die Werkzeugkiste und blickte auf das Display. Es war 19 Uhr 31. Matteo Vannoni stand gebückt neben der Tunnelöffnung. Mamadou hatte ihn fast mit Gewalt herauszerren müssen. Es seien doch nur noch ein paar Steine, die würde er, Vannoni, alleine schaffen. Mamadou hatte ihm erklärt, dass durch das Loch ein Kamerateam mit Ausrüstung passen müsse. Und zwar bald, in wenigen Minuten. Vannoni solle jetzt keine Zicken
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