Die Augen des Drachen - Roman
Abscheulichkeit, vor der die Menschen schreiend davonlaufen? Manchmal vielleicht, aber für gewöhnlich ist es gar nichts Schlimmes. Normalerweise würden die Menschen einfach lachen, wenn sie uns ohne unsere Masken sehen - lachen oder ein angewidertes Gesicht machen oder beides gleichzeitig.
Thomas sah, dass sein Vater, den er stets geliebt und gefürchtet hatte, der für ihn der größte Mann auf der Welt zu sein schien, sich häufig in der Nase bohrte, wenn er allein war. Er bohrte zuerst in einem Nasenloch und dann im anderen, bis er einen dicken Klumpen grünen Rotz zutage gefördert hatte. Diesen betrachtete er dann mit feierlicher Zufriedenheit und drehte ihn im Licht des Feuers hierhin und dorthin, wie ein Juwelier einen besonders edlen Smaragd drehen mochte. Die meisten rieb er dann unter den Stuhl, auf dem er saß. Andere, so leid es mir tut, das zu sagen, stopfte er sich in den Mund und kaute mit einem nachdenklich genussvollen Gesicht darauf herum.
Er nahm nur ein Glas Wein täglich zu sich - den Kelch, den Peter ihm brachte -, aber wenn Peter ging,
trank er - so schien es Thomas - riesige Mengen Bier (erst Jahre später wurde Thomas klar, dass sein Vater vermeiden wollte, sich Peter in betrunkenem Zustand zu zeigen), und wenn er urinieren musste, dann benutzte er dazu selten den Nachtstuhl in der Ecke. Meistens stand er einfach auf und pisste ins Feuer und furzte dabei.
Er redete mit sich selbst. Manchmal ging er durch das riesige Zimmer wie ein Mann, der sich nicht sicher war, wo er sich befand, und redete dabei entweder mit der Luft oder mit den Köpfen an den Wänden.
»Ich erinnere mich noch an den Tag, als wir dich holten, Bonsey«, sagte er zu einem der Elchköpfe (eine weitere seiner seltsamen Angewohnheiten war, dass er jeder einzelnen seiner Trophäen einen Namen gab), »ich war mit Bill Squathings und diesem Burschen mit der großen Warze im Gesicht unterwegs. Ich erinnere mich, wie du aus dem Gebüsch gekommen bist, und dann hat Bill abgezogen, dann hat der Bursche mit der Warze abgezogen, und dann habe ich abgezogen …«
Dann demonstrierte sein Vater, wie er abgezogen hatte, indem er das Bein hob und furzte, während er so tat, als würde er einen Bogen spannen und den Pfeil loslassen. Und dann lachte er, das schrille, unangenehme Gackern eines alten Mannes.
Nach einer Weile schob Thomas die Paneele wieder vor und schlich mit schmerzendem Kopf und unbehaglichem Grinsen den Flur entlang - Kopf und Grinsen eines Jungen, der grüne Äpfel gegessen hat und weiß, dass es ihm am Morgen wahrscheinlich noch schlechter gehen wird als jetzt.
Das war der Vater, den er immer geliebt und gefürchtet hatte?
Er war ein alter Mann, der stinkende Gaswolken ausfurzte.
Das war der König, den seine loyalen Untergebenen Roland den Gütigen nannten?
Er pisste ins Feuer, dass es nur so zischte.
Das war der Mann, der ihm das Herz gebrochen hatte, weil ihm sein Schiff nicht gefiel?
Er redete mit den ausgestopften Köpfen an den Wänden und gab ihnen alberne Namen wie Bonsey und Stag-Pool und Puckerstring; er bohrte sich in der Nase und aß manchmal den Rotz.
Mir liegt nichts mehr an dir, dachte Thomas, sah durch das Guckloch, ob der Flur verlassen war, und schlich dann wie ein Schwerverbrecher zu seinem Zimmer zurück. Du bist ein schäbiger, dummer alter Mann, und du bedeutest mir nichts! Überhaupt nichts! Nein!
Aber er bedeutete Thomas doch etwas. Ein Teil von ihm hörte nicht auf, Roland trotz allem zu lieben - ein Teil von ihm wollte zu seinem Vater gehen, damit er jemand Besseren zum Reden hätte als eine Menge ausgestopfter Köpfe an den Wänden.
Aber es war auch ein Teil in ihm, dem das Spionieren mehr Spaß machte.
28
Der Abend, an dem Flagg mit dem Glas vergifteten Weins in Rolands Privatgemach kam, war die erste Gelegenheit seit langer Zeit, da Thomas zu spionieren wagte. Dafür gab es einen guten Grund.
Eines Nachts, etwa drei Monate vorher, konnte Thomas nicht schlafen. Er wälzte sich von einer Seite auf die andere, bis er den Nachtwächter elf Uhr verkünden hörte. Da stand er auf, kleidete sich an und verließ sein Zimmer. Weniger als zehn Minuten später sah er hinab ins Jagdzimmer seines Vaters. Er hatte gedacht, sein Vater würde schlafen, aber er schlief nicht. Roland war wach und sehr, sehr betrunken.
Thomas hatte seinen Vater schon oft betrunken gesehen, aber noch niemals in einem solchen Zustand wie jetzt. Der Junge war verblüfft und verängstigt.
Es gibt Menschen, die
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