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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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später nicht mehr mit dem Gift kommen müssen. Trotz der vorübergehenden Stärke, die die Trunkenheit ihm verliehen hatte, wäre der alte und gebrechliche König sicher vor Schreck gestorben.
    Plötzlich sprang Roland nach vorn.
    »WESHALB STARRST DU MICH SO AN?«, kreischte er, und in seiner Betrunkenheit war es Neuner, Delains letzter Drache, den Roland anbrüllte, aber das wusste Thomas natürlich nicht. »WARUM STARRST DU MICH AN? ICH HABE MEIN BESTES GETAN, IMMER NUR DAS BESTE! HABE ICH UM DIES HIER GEBETEN? HABE ICH DARUM GEBETEN? ANTWORTE MIR, VERDAMMT! ICH HABE MEIN BESTES GETAN, UND SCHAU MICH JETZT AN! SCHAU MICH JETZT AN!«
    Er riss sein Gewand ganz auf und stellte seinen nackten Körper zur Schau, die graue Haut war vom übermäßigen Trinken rotfleckig.

    »SCHAU MICH JETZT AN!«, kreischte er nochmals und sah weinend an seiner Gestalt hinab.
    Thomas konnte es nicht mehr ertragen. In dem Augenblick, als sein Vater die Augen von Neuner abwandte und seinen verbrauchten Körper betrachtete, schlug er die Paneele hinter den Glasaugen des Drachen zu. Thomas stolperte den dunklen Gang entlang, prallte mit voller Wucht gegen die geschlossene Tür, stieß sich den Kopf an und fiel hin. Innerhalb eines Augenblicks war er wieder aufgesprungen; er merkte gar nicht, dass ihm aus einer Schnittwunde an der Stirn Blut übers Gesicht lief, und er hämmerte gegen die verborgene Feder, bis sich die Tür öffnete. Er stürzte auf den Flur hinaus, ohne darauf zu achten, ob ihn jemand sah. Er sah nur die starrenden, blutunterlaufenen Augen seines Vaters, er hörte nur sein Brüllen: Warum starrst du mich so an?
    Er konnte nicht wissen, dass sein Vater bereits in einen tiefen Schlaf der Trunkenheit gefallen war. Als Roland am anderen Morgen erwachte, lag er immer noch auf dem Boden, und trotz der schlimmen Kopfschmerzen und seiner schmerzenden Glieder (Roland war viel zu alt für solche anstrengenden Exzesse) sah er als Allererstes zu dem Drachenkopf hinauf. Er träumte selten, wenn er betrunken war - sein Schlaf war dann lediglich ein Intervall dumpfer Schwärze. Aber in der letzten Nacht hatte er einen grässlichen Traum gehabt: Die Glasaugen des Drachenkopfes hatten sich bewegt, und Neuner war zum Leben erwacht. Der Wurm spie sein tödliches Feuer auf ihn herab, und obwohl er dieses Feuer nicht sehen konnte, spürte er es tief im Innern, heiß und immer heißer.
    Da der Traum in seiner Erinnerung noch frisch war,
grauste es ihm vor dem, was er sehen mochte, wenn er aufsah. Aber es war alles, wie es seit Jahren gewesen war. Neuner schnaubte sein furchterregendes Schnauben, die gespaltene Zunge ragte zwischen Zähnen hervor, die beinahe so lang wie Zaunlatten waren, und die grün-goldenen Augen starrten blicklos durch das Zimmer. Feierlich über dieser berühmten Trophäe gekreuzt hingen Rolands großer Bogen und der Pfeil Feind-Hammer, Spitze und Schaft immer noch schwarz von Drachenblut. Er erwähnte diesen Traum einmal Flagg gegenüber, der lediglich nickte und ein wenig nachdenklicher als sonst aussah. Dann vergaß Roland ihn ganz einfach.
    Thomas konnte nicht so leicht vergessen.
    Er wurde noch wochenlang von Albträumen geplagt. In ihnen sah sein Vater ihn an und kreischte: »Sieh nur, was du mir angetan hast!« Und er riss sein Gewand auf und zeigte seine Nacktheit - alte, vernarbte Wunden, Hängebauch, schlaffe Muskeln -, als wollte er damit sagen, dass auch das Thomas’ Schuld war, dass, wenn er nicht spioniert hätte …
    »Warum besuchst du eigentlich Vater nicht mehr?«, fragte Peter ihn eines Tages. »Er denkt, du bist wütend auf ihn.«
    » Ich wütend auf ihn? « Thomas war erstaunt.
    »Das hat er heute beim Tee zu mir gesagt«, sagte Peter. Er betrachtete seinen Bruder eingehend, die dunklen Ringe unter den Augen, die Blässe auf Thomas’ Wangen und Stirn. »Tom, was ist los?«
    »Vielleicht nichts«, sagte Thomas langsam.
    Am nächsten Tag trank er mit seinem Bruder und seinem Vater Tee. Es erforderte all seinen Mut, dorthin zu gehen, aber Thomas hatte Mut, und manchmal konnte
er ihn aufbringen - für gewöhnlich dann, wenn er mit dem Rücken zur Wand stand. Sein Vater gab ihm einen Kuss und fragte ihn, ob etwas nicht stimmte. Thomas murmelte, es sei ihm nicht gut gegangen, aber nun fühle er sich schon wieder viel besser. Sein Vater nickte, nahm ihn kurz in den Arm und kehrte dann zu seinem üblichen Verhalten zurück - welches darin bestand, dass er Thomas weitgehend zugunsten von Peter übersah.

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