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Die Augen Rasputins

Die Augen Rasputins

Titel: Die Augen Rasputins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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nicht mehr so apathisch. Er sprach weiter über Eltern, die ihre Kinder lieben, nur das Beste für sie wollen, nicht begreifen und nicht zulassen können, daß eines ihrer Kinder den in ihren Augen falschen Partner wählt. Und plötzlich murmelte sie:

    »Mein Vater hat mich ausgelacht. Nicht gleich. Zuerst sagte er nur, ich soll es mir nicht zu Kopf steigen lassen. Dann sagte er: Ein Stein ist ein Stein. «

    Ed hatte es gehört, doch er wußte im ersten Augenblick nichts damit anzufangen. Vielleicht war das Gefühl des Triumphs auch zu groß, um gleich zu erkennen, worauf ihre Bemerkung abzielte. Er schaute sie aufmerksam an, wartete darauf, daß sie weitersprach. Sie mußte weitersprechen, mußte ihm zumindest einen Anhaltspunkt liefern. Gelacht hatte Paul garantiert nicht, als er auf sie eindrosch. Aber es kam nichts mehr. Es war sogar fraglich, ob ihre Worte tatsächlich eine Reaktion auf seine Erklärungen waren. Ein Stein ist ein Stein. Und Ed stellte ganz vorsichtig fest:

    »Und Sie meinen, es gibt da große Unterschiede! «

    Keine Reaktion. Oder doch, sie senkte den Kopf ein wenig, starrte nicht mehr ihn an, auch nicht die Wand hinter ihm, betrachtete statt dessen den Fußboden, als wollte sie sich das Muster des Teppichs einprägen. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht zeugte von Abwesenheit. Und Ed hatte noch knapp zehn Minuten mit ihr, um den ersten Ansatz auszuweiten. Ein Stein ist ein Stein. Sie mußte die Juwelen meinen, eine andere Möglichkeit gab es nicht. Aber dann hätte sie, als sie endlich weitersprach, an ihre ersten Worte anknüpfen müssen. Und das tat sie nicht. Sie war mit ihren Gedanken weder bei Schramm noch bei Albert Retling.

    »Man kann heute überallhin «, sagte sie. Und sie sagte es nicht zu Ed, sie erzählte es dem Teppich.

    »Man setzt sich in ein Flugzeug und kann um die ganze Welt fliegen, aber dahin nicht. Es ist vorbei. Ich wollte die Wälder einmal sehen. Nur einmal für ein paar Minuten dort sein. Ich hätte nichts angerührt oder zerstört. Kein Mensch kann dorthin. Es ist alles verschwunden. Aber in den Steinen kann man sie noch sehen. «

    »Haben Sie sie gesehen? «

    fragte Ed. Sie nickte langsam.

    »Gesehen und in der Hand gehalten «, flüsterte sie.

    »Mehr kann man nicht tun, sie nur noch in der Hand halten. Aber es gibt noch andere. Und eines Tages werden wir dort sein. Er hat es mir versprochen. «

    Nachdem Paul Großmann sie abgeholt hatte – sie war an dem Tag die letzte Patientin gewesen –, fuhr Ed heim und las bis weit in die Nacht hinein in ihrem Tagebuch. Es gab da eine Stelle, an der sie sich über einen Smaragd ausließ. In der sie mehr oder weniger die Entstehung eines Edelsteins beschrieb, dies jedoch in einer sehr poetischen Art und Weise. Teil eines versunkenen Waldes, vom Druck der Zeit zusammengepreßt. Und dahinter stand es dann.

    »Papa hat mich ausgelacht, als ich sagte, daß ich gerne einen für mich haben würde. Nur einen kleinen. Ich würde ihn auf die Fensterbank legen und immer denken, daß es mein Baum ist. Und daß der schwarze Mann in seinen Zweigen die ganze Nacht über aufpaßt. «

    Paul Großmanns Phantasie reichte wohl nicht so weit, die Gedanken und Sehnsüchte seiner Tochter auch nur annähernd nachvollziehen zu können. Ein Stein ist ein Stein. Paul Großmann hatte gesagt:

    »Komm mir nicht auf krumme Gedanken, Mädchen. Das Zeug ist für dich Arbeitsmaterial und sonst nichts, merk dir das gut. Wenn du später mal genug verdienst, kannst du dir ja einen kaufen. Aber bis dahin behältst du die Finger hübsch bei dir. Daß mir nur keine Klagen zu Ohren kommen. «

    Armes, kleines Mädchen. Schuldig geworden, weil es gerne träumte. Weil es sich einen Stein für die Fensterbank wünschte. Weil es den schwarzen Mann traf, und der gab vor, an Träume zu glauben, und versprach, sie zu erfüllen. Und nun war der Mann weg und der Traum weg und die Steine. Die Erkenntnis änderte nichts an Eds Vorgehensweise, im Grund war sie nebensächlich, sogar ein wenig hilfreich. Er mußte sich nicht länger darum bemühen, das Bild wieder aufzubauen, das sie monatelang von Schramm gesehen hatte, das ihr Vater und ein Richter so völlig zerstörten. Als Ed in der fünften Stunde erneut nach den Gerichtsakten griff, spannten sich ihre Schultern. Er schlug irgendeine Seite auf, achtete nicht darauf, um welche Stelle es sich handelte. Und obwohl er sie nicht aus den Augen gelassen hatte, kam ihr Ausbruch für ihn völlig überraschend. Sie schrie

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