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Die Augen Rasputins

Die Augen Rasputins

Titel: Die Augen Rasputins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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anging, ganz sicher konnte sie nicht sein.
    Vielleicht mochte der Dicke keine kalte Suppe, hatte nur deshalb seinen Teller stehenlassen. Holte sich vielleicht später noch etwas aus der Küche oder hatte sich am Nachmittag den Wanst vollgeschlagen. Und das Tuch hatte er auf der Treppe abgenommen, weil er wußte, wie lächerlich er damit wirkte.

    Sie drehte den Stuhl so, daß sie die Treppe direkt im Blick hatte. Wieder waren von oben Schritte zu hören, sie gingen die Stufen hinauf in den ersten Stock.
    Ganz plötzlich lag der obere Teil der Treppe im Dunkeln. Das Licht in der Diele war gelöscht worden. Gleich darauf verstummte auch der Fernsehton. Sie stand noch einmal vom Stuhl auf, betrachtete skeptisch die Werkzeuge. Es war nichts dabei, was sie hätte als Waffe benutzen können, einfach weil sie es nicht geschafft hätte, zuzustechen oder auf einen Kopf zu schlagen. Bevor sie sich wieder auf den Stuhl setzte, löschte sie das Licht in der Werkstatt.
    Jetzt war alles dunkel, ganz schwarz im ersten Augenblick.
    Und so still. Dabei gab es durchaus Geräusche. Rascheln, Knirschen, Summen, Knistern, alles so fein, als ob sich nur die Luft bewegte. Manchmal rauschte es in ihren Ohren vor Anstrengung. Manchmal machte das Donnern des Herzschlags sie fast taub.
    Es war furchtbar, so reglos auf dem Stuhl zu sitzen wie eine Blinde. Nicht einmal auf die Uhr schauen konnte sie. Sie versuchte es mit Zählen. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig. Was Ed jetzt wohl machte? Sie hätte die Pistole nicht einstecken dürfen. Dann wäre Ed längst hier gewesen, hätte sie auf eigene Faust herausgeholt. Und die Retlings auch. Wenn sie im Haus waren! Sie mußten im Haus sein, sie mußten einfach. Neunundfünfzig, sechzig! Die Minuten hielt sie mit den Fingern nach. Irgendwo im Haus knackte es.
    Sie zuckte zusammen wie von einer Peitsche getroffen.
    Möglicherweise hatte sie sich verzählt, und es war bereits eine halbe Stunde vergangen.
    Auch der Stuhl verursachte ein Geräusch wie von einer Luftpumpe, wenn man sich daraufsetzte oder wieder aufstand.
    Es lag an der Mechanik oder Hydraulik oder wie immer man das nannte, es war einer von diesen Stühlen, die man in der Höhe verstellen konnte. Und das Feuerzeug lag bei der Esse. Sie hatte
    vergessen, es einzustecken. Sie stützte sich mit beiden Händen auf dem Stuhlsitz ab, stemmte sich ganz langsam in die Höhe.
    Als sie ihr Gewicht auf die Füße verlagerte, knirschte es ein wenig, nicht in den Gelenken, nur auf dem Fußboden. Dann stand sie, die Hände immer noch am Stuhlsitz. Langsam loslassen, ganz langsam, und den ersten Schritt nach vorne.
    Obwohl sie genau wußte, daß da nichts im Weg liegen konnte, hob sie den Fuß nicht an, sondern schob ihn langsam vor, zog den zweiten nach. Die Hände weit vorgestreckt. Nur nicht anstoßen. Es dauerte eine Ewigkeit, ehe sie an die Kante der Esse stieß. Und jetzt tasten, ganz behutsam. Es hatte links auf dem Rand gelegen, als sie es zuletzt sah. Vom Rand her nach innen tastend, damit es nicht zu Boden fiel.
    Sie nahm die zweite Hand zu Hilfe, hatte das Gefühl, ihr Kopf würde platzen von der Stille. Endlich! Die rechte Hand schloß sich um das kleine Plastikding. Einmal durchatmen. Und einen Schritt zur Seite, noch einen, bis sie meinte, direkt hinter der Tür zu stehen. Dann erst drehte sie mit dem Daumen das Rädchen.
    Die winzige Flamme holte ein Stück Stahl aus der Dunkelheit.
    Sie stand tatsächlich hinter der Tür. Es waren nicht einmal zehn Minuten vergangen, seit sie das Licht ausgemacht hatte.
    Sie hob den Daumen an, die kleine Flamme verschwand
    augenblicklich. Noch ein paar Sekunden warten, bis die Augen sich wieder auf die Schwärze eingestellt hatten, obwohl es völlig sinnlos war. Nicht einmal ein Kauz hätte sich auf diese Finsternis einstellen können. Und zurück zum Stuhl. Die Campingliege mit ihrer Polsterauflage wirkte mit einem Male so verlockend. Aber sie widerstand.
    Von Zeit zu Zeit ließ sie das Feuerzeug aufschnappen, nur ganz kurz, nur um einen Blick auf das kleine Zifferblatt ihrer Uhr zu werfen. Allmählich bekam sie ein Gefühl für die Minuten, fünf, zehn, fünfzehn, dann war die halbe Stunde voll.
    Und irgendwann war Mitternacht. Es war schon so lange still im Haus. Im Geist schlich sie nach oben, öffnete die Haustür für die
    wartenden Polizisten, ließ sie ins Haus, zeigte zuerst auf das Wohnzimmer, dann zur Treppe. Dabei wußte sie bereits, daß niemand vor dem Haus auf den Einsatzbefehl

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