Die Augen
eher laienhaft angefertigt worden und hatte der Polizei auch nicht geholfen, die tote Frau zu identifizieren. Namenlos hatte man sie ins Armengrab gelegt.
Doch die zweite Skizze hatte das Opfer gut getroffen und konnte später durch ein Foto untermauert werden, nachdem man das Opfer identifiziert hatte. Das Opfer war die Tochter eines örtlichen Geschäftsmanns gewesen. Nicht nur war ihr Ruf tadellos gewesen, obendrein war sie auch noch knapp zwanzig Meter von ihrer eigenen Hintertür entfernt überfallen worden – im angesehensten Teil der Stadt. Sie hieß Marianne Trask.
Und der Skizze zufolge sah sie Hollis Templeton auf geradezu unheimliche Weise ähnlich. Das gleiche mittelbraune Haar, die gleichen ausgeprägten attraktiven Gesichtszüge, das gleiche ovale Gesicht, der gleiche schlanke Hals.
»Nicht identisch«, bemerkte Jennifer, »aber verdammt nahe dran. Und wenn man die Beschreibungen der anderen Opfer liest, auch ohne Skizzen, an die man sich halten könnte, dann klingt das sehr nach Christina Walsh und Ellen Randall. Zufall. Was sonst?«
»Das kann man vertreten«, meinte Andy. »Vier Frauen überfallen, und jeder Fall passt zu einem von unseren – zumindest, was das Aussehen der Opfer betrifft. Aber es gibt auch Unterschiede.«
»Klar. 1934 starben alle Opfer innerhalb weniger Stunden.« Jennifer seufzte und holte einen Zahnstocher mit Zimtgeschmack aus der Tasche. Sie hatte vor kurzem das Rauchen aufgegeben, und nun behauptete sie, auf den Zahnstochern herumzukauen befriedige ihre orale Fixierung. Keiner der Männer hatte eine unanständige Erwiderung für sie gehabt, zumindest nicht laut – ein Zeichen dafür, dass sie sie respektierten.
»Das ist noch nicht alles«, sagte Andy. »In den Akten steht nichts davon, dass eine von ihnen geblendet worden wäre.«
Scott schlug vor: »Das könnte die persönliche Note unseres Mannes sein. Ich meine, er sucht sich vielleicht Doppelgängerinnen als Opfer aus, aber er stellt verdammt sicher, dass sie ihn nicht ansehen können.«
»1934«, betonte Jennifer, »reichte es, sie fast tot liegen zu lassen, da musste der Mörder sich keine Sorgen machen, dass die Opfer ihn womöglich identifizieren könnten.«
»Warum bringt unser Mann seine Opfer nicht um?«, fragte Scott. Die Frage war an Jennifer gerichtet. »Er macht sich solche Mühe damit, sie zu blenden. Wäre es nicht unglaublich viel einfacher, sie einfach umzubringen?«
»Was fragst du mich das?« Sie schob den Zahnstocher in den anderen Mundwinkel und fügte hinzu: »Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, er ist noch nicht ganz so weit – bisher –, um die Grenze zum Mord zu überschreiten. Aber ich bin keine Expertin, und wenn ihr mich fragt, dann ist es genau das, was wir brauchen. Unsere Psychotante ist gut, aber sie ist kein Profiler.«
Andy grunzte. »Drummond wird das FBI nicht hinzuziehen, und ihr wisst, was der Polizeichef von Cops hält, die sich dafür entscheiden.«
»Wenn wir das hier nicht aufklären, muss er aber«, wandte Jennifer ein.
»Du kennst unseren Luke nicht«, erwiderte Andy säuerlich.
Jennifer verdrehte die Augen. »O doch, ich kenne ihn. Aber ich hoffe immer noch, dass ich mich irre. Das ist alles.«
Scott gab ein noch eben hörbares rüdes Geräusch von sich.
»Ich hätte nichts dagegen, mich in dieser Frage zu irren«, erklärte sie ihm sanft.
»Zurück zur Sache, Leute«, meinte Andy. »Vier Opfer. Das war’s in dem Jahr?«
»Na ja, da sind wir nicht sicher.« Jennifer wechselte einen Blick mit Scott und zuckte mit den Achseln. »Es fehlen Akten, Andy.«
»Was zum Teufel meinst du damit – fehlen?«
»Ich meine, dass von Juni – direkt nachdem das vierte Opfer tot war – bis Ende des Jahres keine Aufzeichnungen existieren. Und der Karton ist so voll, dass man schwer sagen kann, ob Akten rausgenommen wurden oder nie da waren.«
»Sie müssen da gewesen sein, Jenn, zumindest 1934 noch. Das Verbrechen geht doch nicht im Juni in Urlaub.«
Erneut zuckte sie mit den Achseln. »Tja, jetzt sind sie jedenfalls nicht da. Mensch, was glaubst du, wie oft man die Kartons mit den Akten hin- und hergetragen hat? Hier war früher nicht die Verbrechensaufklärung, und sogar dieses Gebäude ist mindestens drei Mal neu aufgebaut oder umgebaut worden. Die Stadt ist gewachsen, die Anzahl der Bezirke hat sich vervielfacht. Die Polizeiberichte für Seattle sind vermutlich auf ein Dutzend unterschiedliche Gebäude verteilt.«
Scott ließ sich auf Andys Besucherstuhl
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