Die Augen
dass alles wahrscheinlich noch viel schlimmer wird, ehe es besser wird, auch für dich.«
»Wie soll denn da noch was schlimmer werden?«
Quentin zuckte zusammen. »Frag das nie, nie wieder. Es kann immer alles noch schlimmer werden – und normalerweise tut es das auch. Da draußen läuft ein bösartiger Verrückter herum, und er hat uns nicht gerade eine Spur aus Brotkrumen hinterlassen, der wir folgen könnten, um ihn aufzuhalten. Wir haben bis jetzt vier Opfer und keinen Anlass zu glauben, dass es nicht noch mehr werden. Wir haben überhaupt keine Ahnung, wie er besagte Opfer auswählt, die nichts gemeinsam zu haben scheinen, außer dass sie alle weiblich und weiß sind – womit wir uns um circa die halbe Bevölkerung einer Großstadt Sorgen machen müssen. Wir haben einen Police Lieutenant mit politischen Ambitionen, der einer Polizeiabteilung vorsteht, die so ziemlich an ihre Grenzen gekommen zu sein scheint. Wir haben eine völlig verängstigte Stadt, wir haben eine zunehmend militante Presse – und wir dürfen bei unseren Ermittlungen natürlich nur auf Zehenspitzen gehen, weil wir uns eigentlich gar nicht einmischen dürften.«
Quentin atmete tief durch, wechselte noch einen Blick mit Kendra und schloss: »Wie da noch was schlimmer werden soll? Mensch, John – wie denn nicht?«
»Okay, es ist angekommen.«
Quentin beließ es dabei. »Wenn Kendra mit unserer Datenbank fertig ist, gleichen wir unsere Daten mit allem ab, was das FBI an unaufgeklärten Fällen von schwerer Vergewaltigung hat. Die meisten dieser scheinbar allein stehenden Verbrechen fallen zwar genau genommen nicht in die Zuständigkeit des FBI, aber in den letzten Jahren haben wir angefangen, so viele wie möglich zu verfolgen, einfach weil solche chronischen Triebtäter normalerweise immer brutaler vorgehen, je länger sie auf freiem Fuß bleiben. Und sie haben für gewöhnlich eine Vorgeschichte – wenn wir sie denn finden und zurückverfolgen können.«
»Wie meinst du das?«
»Hier in Seattle ist er jetzt seit rund sechs Monaten aktiv, soweit die Polizei sagen kann. Aber sein Ritual ist zu fest gefügt, als dass es neu sein könnte.«
»Ich dachte, du wärst kein Profiler?«
»Ich bin nicht gerade der Beste. Aber ich arbeite mit einigen der Besten zusammen, und ich habe das eine oder andere aufgeschnappt. Kendra ist da mit mir einer Meinung. Unser Mann ist kein Anfänger.«
»Also war er schon … woanders … aktiv?«
»Wahrscheinlich.«
»Hätte die Polizei das nicht überprüft?«
Quentin nickte. »Sicher. Den Berichten zufolge haben sie das getan. Aber als sie die entsprechenden Datenbanken zu Strafregister, vermissten Personen et cetera sowie verschiedene andere Quellen überprüft haben, scheinen sie nur nach den augenfälligsten Gemeinsamkeiten der Überfälle gesucht zu haben: dass er seine Opfer blendet und verstümmelt, dass er nie mit ihnen spricht, dass er sie irgendwo an einem relativ abgelegenen Ort ablädt, wenn er mit ihnen fertig ist. Das sind unserer Erfahrung nach bei weitem nicht genug Eigentümlichkeiten und Übereinstimmungen, um eine gründliche Durchsuchung aller verfügbaren Akten zu ermöglichen.«
»Was gibt es denn sonst noch für Übereinstimmungen?«
Diesmal antwortete Kendra. »Er gibt sich eine unglaubliche Mühe, um sicherzustellen, dass diese Frauen ihn garantiert nicht identifizieren können, aber ganz eindeutig beobachtet er sie eine Zeit lang, bevor er sie überfällt. Er hat ganz spezielle Kriterien für seine Auswahl, und die haben nichts damit zu tun, wie leicht er an die Frauen herankommt. Er hat die Methode, mit der er sie blendet, gewechselt, man könnte sagen, er wird geschickter darin, was darauf hindeutet, dass es sich dabei um einen vergleichsweise neuen Teil seines Rituals handelt. Es kann gut sein, dass er seinen Opfern am Anfang einfach die Augen verbunden oder sie besinnungslos geschlagen hat, ehe er sie vergewaltigte: Diese Möglichkeit muss man in Betracht ziehen. Dass er sie jetzt blendet, könnte eine natürliche Entwicklung und Eskalation seines Rituals sein – oder er tut es, weil in der Vergangenheit zumindest ein Opfer ihn gesehen hatte und in der Lage gewesen war, ihn zu identifizieren.«
Nach kurzem Zögern meinte John: »Sie meinen, dieses Schwein wurde schon einmal festgenommen? Und eingesperrt?«
»Möglich.«
»Und dann was? Ist er entkommen?«
»Vielleicht. Oder vielleicht hat er seine Zeit auch abgesessen. Ich schätze, er ist jetzt zwischen dreißig
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