Die Augen
und vierzig, er könnte also auf jeden Fall irgendwann mal eine Gefängnisstrafe abgebüßt haben.«
»Glauben Sie das?«
Kendra hielt lange genug im Tippen inne, um die Seite in dem Bericht umzublättern, den sie gerade studierte. Dann antwortete sie: »Nein, aus irgendeinem Grund glaube ich nicht, dass er schon mal ein Gefängnis von innen gesehen hat. Ich glaube, er zieht herum, er ändert seinen Standort nach einer gewissen Zeit oder einem bestimmten Ereignis oder wenn sein Ritual in eine neue Phase geht.«
»Also«, sagte Quentin, »wir gleichen sämtliche Informationen, deren wir habhaft werden können – plus begründete Vermutungen und Mutmaßungen – mit den Akten ab, die das FBI aus den Polizeiwachen des ganzen Landes bezogen hat. Wenn wir Glück haben, finden wir genug, um dem Kerl eine Vorgeschichte zu geben. Und mit einer Vorgeschichte, die wir durchleuchten können, haben wir bessere Chancen, aus ihm schlau zu werden, herauszufinden, wo und wann wir nach ihm suchen müssen.«
Kendra sagte: »Sobald die Datenbank steht, dauert es wahrscheinlich ein, zwei Tage, den Abgleich durchzuführen, jedenfalls mit den Informationen, die wir jetzt haben, und dann haben wir womöglich erst mal eine lange Liste mit möglichen Kandidaten, die wir eingrenzen müssen.«
John sah zu Quentin. »Wie macht sie das? Tippen und dabei reden?«
»Ihr einzigartig flexibler Verstand«, murmelte Quentin.
»Es ist ein bisschen beängstigend«, bemerkte John.
»Eben. Ich glaube, sie macht es nur, um mich zu zermürben.«
Kendra lächelte, wandte den Blick jedoch nicht von der Akte ab. »Wahrscheinlich wäre es auch eine gute Idee, bei der Polizei vorbeizuschauen und herauszufinden, ob sie was Neues haben.«
»Deshalb habe ich Maggie gebeten, mich auf der Wache zu treffen«, sagte John. »Nicht, dass ich glaube, sie hätten was Neues, aber Andy würde sich garantiert fragen, was los ist, wenn ich nicht alle ein, zwei Tage auftauche und Fragen stelle.« Er sah Kendra an, doch als sie plötzlich aufhörte zu tippen und zu Quentin sah, folgte er ihrem Blick und verspürte ein sonderbares schwaches Frösteln.
Quentins Blick schien auf nichts im Besonderen gerichtet zu sein, es sei denn auf etwas, das nur er sehen konnte. Seine Augen blickten ins Leere, allerdings merkwürdig starr, ohne zu blinzeln, und dabei verharrte er völlig reglos.
»Quentin?«, fragte Kendra leise. »Was ist los?«
Er antwortete nicht sofort. Eine volle Minute ging schweigend vorüber, ehe er sich regte und die beiden ansah, sie wirklich sah. Sein Gesichtsausdruck war unverändert, doch in seinem Blick lag Freudlosigkeit. Schleppend sagte er: »Die Polizei wird etwas Neues haben, John. In den nächsten Minuten.«
Hollis wusste, dass Maggie entspannt war. Sie hörte es am unbekümmerten Tonfall der anderen Frau. Es war eine interessante Stimme, etwas merkwürdig Zwingendes ging von ihr aus, so leise und angenehm sie auch war und so trügerisch gütig wie die unbewegte Oberfläche eines tiefen Wassers. Doch was lag unter der Oberfläche? Dort war immer etwas.
»Wir können reden, worüber Sie wollen«, sagte sie gerade. »Wie gestern. Sie suchen das Thema aus. Das Wetter, Sport – Kohlköpfe und Könige.«
Hollis lächelte. »Mein Lieblingszitat war immer das, wo es darum ging, vor dem Frühstück sechs unmögliche Dinge zu glauben. Das schien mir immer eine gute Einstellung zu sein.«
»Ich weiß, was Sie meinen. So wie die Welt heute beschaffen ist, ist es fast unbegreiflich, wie jemand mit unveränderlichen Glaubenssätzen durchs Leben gehen kann. Beinahe jeden Tag scheint doch eine Geschichte in den Nachrichten zu kommen, die eine unserer Gewissheiten über den Haufen wirft.«
»Vielleicht ist Menschsein eben das«, schlug Hollis vor. »Unsere Gewissheiten immer wieder infrage zu stellen.«
»Vielleicht«, stimmte Maggie zu. »Diese Definition ist so gut wie jede andere, schätze ich.« Sie hielt inne, dann fuhr sie fort: »Nur noch ein paar Tage, dann kommt der Verband ab. Wie fühlen Sie sich bei dem Gedanken?«
»Sie klingen wie die Seelenklempner hier aus dem Krankenhaus«, bemerkte Hollis und wich so elegant einer Antwort aus.
»Entschuldigung. Berufsrisiko, nehme ich an. Ich verbringe so viel Zeit damit, Menschen zu fragen, wie sie sich in Bezug auf dies oder jenes fühlen. Aber ich möchte es wirklich wissen. Wenn die Operation erfolgreich war und Sie wieder sehen können, glauben Sie, das wird Ihnen helfen, das hier zu bewältigen
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