Die Augen
dieser Entschluss wurde in seinem Kopf ganz weit nach hinten gedrängt, als sie zu der Adresse kamen, die Brady Oliver ihnen genannt hatte.
Um nicht womöglich Beweise zu vernichten, positionierte Andy die meisten seiner Leute um das Gebäude herum und wies sie an, das ganze Gelände für die Spurensicherung abzusperren, während er nur mit Scott und Jennifer zur Unterstützung hineinging.
Im Licht ihrer Taschenlampen erblickten sie ein verdrecktes, baufälliges Haus, das schon vor langem all seiner Einrichtungsgegenstände beraubt worden war. Als sie das Gebäude betraten, knarrte der Boden unter ihren Füßen, und sie hörten ganz schwach leise Kratzgeräusche und Getrappel.
»Was zum Teufel ist das?«, wollte Scott wissen. Er hatte sich erschreckt, rechtfertigte sich dafür aber nicht.
»Ratten«, klärte ihn Andy auf. »Ihr zwei bleibt hinter mir. Zuerst überprüfen wir das Zimmer, in dem Brady sie gefunden haben will.«
Plötzlich erkannte Scott: »Ratten … wenn die Frau hier und schon eine Weile tot ist …«
»Denk nicht darüber nach«, riet ihm Jennifer. Ihre Stimme klang ebenfalls ein wenig belegt.
Andy zögerte und fragte sich, ob er die beiden hätte draußen warten lassen sollen. Beide waren schon an Mordtatorten gewesen, doch er wusste, dass sie das Ganze besonders mitnehmen würde, weil sie sich in diesen Ermittlungen so engagierten. Nun, auch dies gehörte zur Arbeit eines Polizisten. Er ging weiter, langsam und vorsichtig.
Der lange Korridor führte zur Rückseite des Gebäudes, wo ein halbes Dutzend Zimmer lagen. Die Türen waren wohl schon lange fort, Türöffnungen mit beschädigten Rahmen gähnten schief. Andy wunderte sich, dass das Gebäude nicht schon längst in sich zusammengebrochen war. Er blieb stehen, leuchtete mit der Taschenlampe um sich, dann ging er plötzlich auf eine Türöffnung zu, die ins hinterste Zimmer auf der linken Seite führte.
Er roch das Blut.
Man musste nicht weit ins Zimmer hineingehen, seine Taschenlampe fand sie sofort.
»Oh, mein Gott«, murmelte Scott.
Andy sagte gar nichts, doch er hörte, wie Jennifer leise seufzte. Er musste die beiden nicht nach ihren Gefühlen fragen. Er empfand das Gleiche. Entsetzen. Abscheu. Schmerz. Und überwältigende Traurigkeit.
Samantha Mitchell lag mit ausgestreckten Gliedern auf einer blutbefleckten Matratze in der hintersten Ecke. Ihr nackter Körper war völlig zerschunden. Ihre Augen fehlten, und die Kehle war ihr beinahe von einem Ohr zum anderen durchgeschnitten worden. Die Ratten hatten sich tatsächlich bereits an ihrer Leiche zu schaffen gemacht.
Noch grauenvoller: Ein tiefer Schnitt ließ die untere Rundung ihres gewölbten Bauchs aufklaffen.
Und zwischen ihren Schenkeln lag die mitleiderregend kleine, zusammengerollte Leiche ihres toten Kindes.
Immer noch durch die Nabelschnur mit ihrem Körper verbunden.
»Vom ersten Augenblick an gab es zwischen Christina und mir ungewöhnliche Bande«, sagte Maggie. »Vielleicht weil sie das erste seiner Opfer war, das den Überfall überlebt hatte – ich weiß es nicht. Aus welchem Grund auch immer, wir spürten sie beide, diese Nähe.«
»Sie hat Ihren Namen ein paar Mal erwähnt, wenn ich hochgeflogen bin, um sie zu besuchen«, meinte John und hielt die Augen auf die Straße gerichtet, während sie fuhren. »Viel hat sie nicht gesagt, nur dass Sie die Polizeizeichnerin seien und dass Sie freundlich zu ihr gewesen seien. Auch deshalb habe ich Andy nach Ihnen gefragt, nachdem sie gestorben war. Und ich hatte Sie auch auf der Beerdigung gesehen.«
Das überraschte Maggie. Sie hatte sich absichtlich im Hintergrund gehalten, sich unauffällig verhalten. »Das wusste ich nicht.«
»Ich habe Sie auch nur gegen Ende flüchtig gesehen. Wusste gar nicht, wer Sie sind, bis ich Sie letzte Woche da in dem Vernehmungszimmer gesehen habe.« Er verschwieg, dass irgendetwas an ihr in seinem Gedächtnis haften geblieben war, sodass er sich nach all den Wochen sofort an sie erinnert hatte, als er sie auf der Polizeiwache sah.
»Ich bin nicht dazu gekommen, viel Zeit mit Christina zu verbringen«, sagte Maggie. »Nur ein paar Besuche im Krankenhaus, dann noch drei oder vier Mal, als sie wieder zu Hause war. Es hat sie so viel Kraft gekostet, wieder auf die Beine zu kommen und sich auf die Operationen vorzubereiten, die ihr noch bevorstanden.«
John warf Maggie einen raschen Blick zu, doch im unbeständigen Licht vorbeiziehender Straßenlaternen konnte er ihr Gesicht nicht
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