Die Auserwaehlte
»Lady, im Laufe meines Lebens war ich all das. Einmal war ich in der Verkleidung eines Priesters von Hantukama Gast Eures Vaters. Ich habe im Laufe der Zeit die Identität eines Soldaten, eines Händlers, eines Sklavenmeisters, eines Hurenhändlers, eines Fluß-Schiffers, selbst die eines Seemanns und eines Bettlers angenommen.«
Was einiges erklärte, dachte Mara, aber nicht alles. »Wem gegenüber wart Ihr loyal?«
Arakasi verbeugte sich mit der überraschenden Grazie und Gewandtheit eines Edlen. »Ich war im Dienst des Lord der Tuscai, bevor die Hunde der Minwanabi ihn im Kampf töteten. Ich war sein Supai, der Herr über seine Spione.«
Maras Augen weiteten sich trotz ihrer Versuche, sich nichts anmerken zu lassen. »Sein Supai?«
Der Mann richtete sich auf, sein Lächeln war ohne jeden Humor. »Ja, Mistress. Und vor allem aus einem Grunde solltet Ihr mich in Eurem Dienst wünschen: Mein ehemaliger Herr, der verstorbene Lord der Tuscai, investierte den größten Teil seines Vermögens in den Ausbau eines Informationsnetzwerkes, das ich leitete und dem Spione in jeder Stadt im Kaiserreich und in vielen großen Häusern angehörten.« Seine Stimme wurde leiser, eine befremdliche Mischung aus Widerwillen und Stolz. »Dieses Netzwerk existiert noch.«
Plötzlich kratzte Keyoke sich vernehmlich mit seinem Daumen am Kinn.
Mara räusperte sich. Sie warf einen scharfen Blick auf Arakasi, dessen Angesicht sich von einem Augenblick zum nächsten zu verändern schien. »Doch solche Dinge sollten nicht unbedingt in der Öffentlichkeit besprochen werden.« Sie schaute sich um. »Ich habe noch immer den Staub von der Reise auf meinen Kleidern und vermisse seit heute mittag eine kleine Erfrischung. Kommt in einer Stunde in meine Gemächer. Bis dahin wird Papewaio sich um Euch kümmern.«
Arakasi verneigte sich und ging zu Papewaio, der dem Supai bedeutete, ihm zum Badehaus bei den Baracken zu folgen.
Mara blieb mit Keyoke und den dreiunddreißig herrenlosen Kriegern zurück und grübelte. »Der Supai der Tuscai«, sagte sie nach einer kleinen Pause leise. »Vater sagte immer, daß der Lord der Tuscai mehr wußte, als in den Augen der Götter recht war. Unter den Männern kursierten Scherze, daß er in einem Gewölbe unter seinem Arbeitszimmer einen Zauberer mit einem Kristall eingesperrt hatte. Glaubt Ihr, daß Arakasi der Grund war?« wollte sie dann von Keyoke wissen.
Keyoke enthielt sich einer direkten Antwort. »Seid auf der Hut vor ihm, Mistress. Ein Mann, der spioniert, ist als allerletztes ehrlich. Ihr tatet recht, ihn mit Pape wegzuschicken.«
»Treuer Keyoke«, sagte Mara voller Zuneigung in ihrer Stimme. Das Licht der Fackeln schimmerte um ihren Kopf, als sie mit einem kleinen Nicken auf die zerlumpten Männer deutete, die auf ihren Befehl warteten. »Was meint Ihr, werdet Ihr es schaffen, ihnen allen den Eid vor dem Natami abzunehmen, und dann noch Zeit für ein Bad und Essen finden?«
»Ich muß es schaffen.« Der Kommandeur zuckte in einer seiner seltenen ironischen Gesten leicht mit den Schultern. »Wenn auch die Götter allein wissen, wie ich bei so viel Arbeit so alt werden konnte.« Bevor Mara etwas entgegnen konnte, rief er den abgerissenen Männern im Hof etwas zu, und die allesamt erfahrenen Soldaten gehorchten dem Befehl des Höherstehenden und traten zum Appell an.
Fünf
Handel
Der Abend ging in die Nacht über.
Sanfte Lichter brannten in Maras Zimmer. Die äußeren Läden waren geöffnet worden, um eine leichte Brise hereinzulassen, und das Lampenlicht flackerte und tanzte. Die Herrin der Acoma entließ die Bediensteten bis auf einen, dem sie auftrug, heiße Chocha zu bringen. Mara war noch einen Augenblick mit Nacoya allein, bevor die anderen erscheinen würden, und sie streifte die protzigen Armreifen ab, die sie vom Lord der Anasati erhalten hatte. Sie schälte sich aus dem schmutzigen Reisegewand und betupfte ihren Körper mit einem feuchten Tuch; auf ein richtiges Bad würde sie bis nach dem Treffen mit Arakasi warten müssen.
Nacoya schwieg die ganze Zeit, während Mara sich frisch machte, doch ihr Blick blieb stets auf ihre junge Herrin gerichtet. Keine der beiden sprach. Der Vorwurf, den Mara in den alten Augen las, besagte alles: Es war unvorsichtig und dumm von dem Mädchen gewesen, möglicherweise sogar gefährlich dumm, daß sie sich mit Buntokapi verbunden hatte. Der Sohn der Anasati mochte vielleicht begriffsstutzig scheinen, aber er war ein mächtiger Krieger, und wenn er
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