Die Auserwählte: Roman (German Edition)
Ich steckte noch in mir, war aber ruhig. Alle seine Ängste, seine endlosen Sorgen und Zweifel, seine Wut und seine Dunkelheit und seine Wünsche waren … nicht verschwunden. Sie schliefen. Die alte Mia schlief noch. Die neue Mia dagegen war wach und hatte die Augen offen.
Ich drehte den Kopf, um meine Umgebung zu begutachten. Alles war weiß. Alles war gut und sauber und sicher.
Ich lag auf einer Wolke von einem Bett, auf einem cremeweißen ägyptischen Baumwolllaken, das vollkommen knitterfrei zu sein schien. Ich setzte mich auf. Das Zimmer kam mir nicht bekannt vor und war in wunderschönen Elfenbein- und Schneeweißtönen ausgestattet. Eine Glasschiebetür führte auf einen Balkon hinaus. Und hinter dem Balkon war das Meer, das sich bis zum dunstverhüllten Horizont erstreckte.
Es war Morgen. Noch früh. Noch etwas grau.
Ein Klopfen ertönte. Es erschreckte mich nicht. Ich war ruhig. Ich war mit mir im Reinen, und mit der Welt war alles in Ordnung. Ich konnte mich nicht erinnern, mich jemals so gefühlt zu haben. So sicher. So beschützt.
»Herein«, sagte ich.
Die Tür ging auf, und Prophet trat ein, bekleidet mit einem weißen Button-Down-Hemd, das am Kragen etwas geöffnet war, und einer legeren weißen Hose. Sein schneeweißes Haar lag weich auf seinen Schultern, und seine trüben Augen beunruhigten mich nicht mehr so wie mein altes Ich, das fürchtete und hasste, was es nicht verstand. Mein neues Ich sah in Prophet das, was er wirklich war … ein Geschenk Gottes. Ein Segen. Vielleicht sogar ein Erlöser.
»Guten Morgen, Mia«, begrüßte er mich. »Hast du gut geschlafen?«
Ich nickte lächelnd. »Ich muss die Nacht durchgeschlafen haben. Das tue ich sonst nie.«
»Du warst erschöpft, und das ist auch verständlich. Du hast in letzter Zeit so viel durchgemacht. Darf ich mich ein bisschen zu dir setzen? Ich würde mich gerne mit dir unterhalten.«
An der Wand stand ein Stuhl, ein kleines Stück vom Bett entfernt. Prophet muss genau gewusst haben, wo er stand, da er geradewegs auf ihn zuging. Er rückte ihn näher ans Bett und setzte sich. Dann schlug er die Beine übereinander, stützte die Ellbogen auf die Knie und verschränkte die Finger unter dem Kinn.
Ich warf einen Blick auf meine Hände, die nicht mehr in meinen schwarzen Lederhandschuhen steckten. Stattdessen trug ich weiche weiße Baumwollhandschuhe. Das bedeutete, dass jemand meine Hände gesehen hatte. Meine Haut. Meine Narben.
Ich spürte einen Anflug von Angst.
Es spielt keine Rolle mehr. Dieser Ort ist sicher. Hier brauchst du nicht zu verbergen, wer du bist.
»Wo bin ich?«, fragte ich Prophet.
»Ich habe dich in mein Haus gebracht«, erwiderte er.
»Oh, warum?«
»Weil du besonders bist. Einzigartig. Und weil ich dich brauche.«
»Was ist mit meiner Mom?«, erkundigte ich mich, als mir wieder einfiel, wie Prophets Lippen die ihren berührt hatten und wie er sie festgehalten hatte. »Wo ist sie?« Und Jeremy, fragte ich mich, wohin war er verschwunden?
Prophet lächelte und zeigte milchweiße Zähne. »Ich habe deine Mutter auch hierhergebracht. Ich dachte mir, dass du sie wahrscheinlich sehen möchtest, nachdem du aufgewacht bist. Sie ist eine wunderbare Frau, Mia. Ich habe sie sehr liebgewonnen, während du geschlafen hast. Sie hat mir von dir erzählt. Wie sich herausgestellt hat, haben wir etwas gemein, du und ich.«
Er knöpfte seine Hemdmanschetten auf. Ich beobachtete ihn mit gerunzelter Stirn. Prophet schob seine Ärmel bis zu den Ellbogen hoch. Dann hob er die Arme und drehte die Handflächen in meine Richtung, auf denen Blitzschlag-Narben blühten wie ein Feuerwerk und bis über seine Handgelenke reichten.
»Sie haben sie auch«, sagte ich atemlos.
»Sie sind ein Geschenk Gottes. Ein Zeichen, dass wir dazu bestimmt sind, hier auf Erden Gutes zu tun, und für die Kraft, die Er uns verliehen hat.«
Ich dachte an die Blitzschlag-Narben, die sich über meine ganze Haut erstreckten, und spürte ein warmes Glühen in meiner Brust.
»Wie oft sind Sie schon vom Blitz getroffen worden?«, fragte ich aufgeregt.
Prophets Lächeln verschwand, und mir wurde bewusst, dass ich etwas Falsches gesagt hatte. »Dreimal.«
»Oh.«
Sein Lächeln kehrte zurück, wenngleich es jetzt vor seinen Augen Halt machte. »Aber du, Mia, du bist unzählige Male getroffen worden. Das hat mir deine Mutter erzählt.«
Ich nickte und senkte den Blick. Ich wollte mich bescheiden geben. Was tat es schon zur Sache, dass ich öfter getroffen
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