Die Auserwählte: Roman (German Edition)
einem Fingerschnippen, dass sie mich auf die Bühne bringen sollten. Sie sahen mich an wie zwei Falken, die ihre Beute entdeckt hatten und es kaum erwarten konnten, sie in Stücke zu reißen. Ich schüttelte den Kopf und stolperte rückwärts durch die Menge, doch die Jünger wogten gegen mich und schoben mich wieder nach vorn.
Dann griffen die Zwillinge nach mir.
Ich hob kapitulierend die Hände, da ich mich nicht von ihnen anfassen lassen wollte. Mehr noch, ich hatte Angst davor, was ich fühlen würde, wenn sie mich berührten … und was sie dabei fühlen würden.
Ich stolperte die kurze Treppe auf die Plattform hinauf und hielt dabei Abstand zu den weißblonden Zwillingen. Als ich sie aus der Nähe sah, stellte ich fest, dass sie keine Wimpern hatten. Ihre Augenlider waren vollkommen kahl.
Prophet drehte sich zu mir, und mich durchfuhr ein Schauder beim Anblick seiner milchigen Augen. Er starrte mich lange Zeit an. Ich atmete tief durch, um mich zu beruhigen, doch das Feuer in meinem Blut gewann die Oberhand.
»Wer bist du, Schwester?«, fragte Prophet schließlich. »Bist du gekommen, um uns auszuspionieren?«
Ich blickte mich um und stellte fest, dass ich nicht nur von fast allen Augenpaaren beobachtet wurde. Auch sämtliche Kameras waren auf mich gerichtet.
Das Ganze war ein Albtraum. Und dieser Albtraum wurde im Fernsehen übertragen.
Ich fragte mich, ob Parker zusah und dachte: »Wenn sie doch nur auf mich gehört hätte …«
Und was war mit Jeremy? Wo steckte er? Ich ließ den Blick über die Menge schweifen, entdeckte ihn jedoch nicht. Ich war auf mich allein gestellt. Keine Suchenden. Kein Jeremy.
Nur ich.
»Es war nicht meine Absicht, Ihr … Programm zu stören«, sagte ich zu Prophet. »Ich bin keine Spionin. Ich bin hier, weil ich jemanden suche.« Meine Stimme klang in Anbetracht der Umstände erstaunlich ruhig. In Anbetracht der Tatsache, dass ich kurz davor stand zu verbrennen.
»Hören Sie nicht auf sie!«, rief eine vertraute Stimme aus der Menge. Der Dealer zeigte mit dem Finger auf mich. »Sie ist nicht vertrauenswürdig. Sie hat mir meine Verbrennungen zugefügt. Sie ist eine Sünderin, eine Süchtige.«
»Nein, das bin ich nicht.« Ich schüttelte den Kopf, sah in die Menge und nahm die eisigen Blicke, die auf mir ruhten, nur allzu deutlich wahr. »Ich bin keine Süchtige!«
Hinter meinen Schläfen setzte dasselbe Summen ein, das ich gespürt hatte, bevor Mr Kale in meine Gedankenwelt eingedrungen war.
Aber du hast eine Sucht, nicht wahr?
Bei der Stimme, die in meinem Kopf sprach, handelte es sich nicht um meine eigene.
Deine bevorzugte Droge ist einzigartig, fuhr die Stimme fort. Du bist einzigartig.
Ich sah Prophet an, der mich fest anstarrte, als könnte er mich durch den Schleier auf seinen Augen deutlich erkennen. Das Summen hinter meinen Schläfen hörte nicht auf.
»Wen wolltest du hier finden, wenn nicht dich selbst?«, fragte mich Prophet.
Ich wollte es ihm nicht sagen. Ich würde es ihm nicht sagen.
Wieder dieses Summen.
»Deine Mutter«, vermutete Prophet. Oder handelte es sich gar nicht um eine Vermutung? Die Stimme, die in meinem Kopf sprach, klang genau wie seine. »Möchte sie errettet werden?«
»Nein«, erwiderte ich bestimmt, doch dann ertönte irgendwo im Zelt eine andere Stimme: »Doch! Doch, das möchte ich!«
»Bringt sie herauf!«, befahl Prophet.
Die Menge teilte sich, und dann sah ich sie … Ich sah, wie meine Mom durch den Sand zur Bühne stapfte. Mein Herz blieb zwischen zwei Schlägen stehen.
Ich musste das verhindern.
Irgendwie musste ich das verhindern.
Aber ich konnte nichts anderes tun, als wie angewurzelt dazustehen.
Die Zwillinge hielten Mom jeweils an einer Hand und führten sie auf die Bühne. Mom nahm sie kaum zur Kenntnis und mich ebenso wenig. Sie hatte nur Augen für Prophet. Ihr Gesicht war vor Aufregung gerötet, was dafür sorgte, dass ihre Narben leuchtend hervorstachen.
»Mutter und Tochter«, sinnierte Prophet laut. Seine Augen machten Mom ausfindig, und er streckte die Hand aus. »Komm zu mir, Schwester.«
Die Zwillinge ließen Moms Hände los, und sie trat vor Prophet. Meine Hand schoss instinktiv vor, um sie aufzuhalten, was ein aufgebrachtes Schnauben und ein paar Protestrufe der Menge auslöste.
Schließlich sah Mom mich an. »Lass mich, Mia.«
»Nein«, flehte ich sie an. »Mom, bitte. Du musst das nicht tun.«
Sie schüttelte mich ab. »Doch, das muss ich. Ich will es.«
»Er kann dich nicht retten«,
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