Die Auserwählte: Roman (German Edition)
sagte ich lauter, als ich beabsichtigt hatte. Die Mikrofone schnappten es auf, und es ertönte aus den Lautsprechern. »Du musst dich selbst retten, Mom. Bitte hör auf mich. Lass uns nach Hause gehen.«
»Ich kann nicht, Mia«, sagte sie so leise, dass ihre Stimme beinahe ein Teil der Stille war. »Ich kann nie mehr nach Hause gehen. Das hier ist alles, was es noch für mich gibt.«
Sie wandte sich von mir ab, drehte sich zu Prophet und stellte sich vor ihn, als dieser ihr die Hände auf die Stirn legte.
»Ich wurde während des Erdbebens lebendig begraben«, begann sie. »Ich lag tagelang da und wartete darauf, dass der Tod mich holt. Das hat er auch fast getan. Da war nichts«, sagte sie beinahe unhörbar. »Ich hatte geglaubt, dass es ein Licht gäbe … oder Trost … oder irgendwas. Aber da war nichts für mich nach diesem Leben. Nur Finsternis. Aber Gott hat mich leben lassen. Er hat mir noch eine Chance gegeben, um das Licht zu finden.«
»Gott hatte andere Pläne für dich.« Prophet nickte mit fester Überzeugung. Er presste seine Daumen auf ihre Schläfen und zog sie zu sich. Sie schloss die Augen, während seine weiß und weit geöffnet blieben, als er ihre Lippen leicht mit seinen berührte. Ich sah, wie sich die Muskeln in ihrem Hals anspannten und wieder entspannten. Er nahm sie in die Arme und drückte sie an sich. Dann fand mich sein Blick, den er über ihre Schulter richtete.
»Tochter«, sagte Prophet.
Ich wollte ihn ignorieren, spürte jedoch den Druck in meinem Kopf und das vertraute Summen, und ich … ignorierte ihn nicht. Prophet ließ Mom los, die neben ihm stehen blieb. Ihre Wangen und ihre Augen waren feucht, leuchteten jedoch. Glücklich. Als ich sie ansah, hielt ich inne. Sie war wie ausgetauscht. Die Traurigkeit, die ich am Morgen bei ihr beobachtet hatte, war nicht mehr da. War Prophet dafür verantwortlich? Hatte er ihr ihre Traurigkeit genommen? Was war, wenn ich mich in ihm getäuscht hatte? Wenn ich mich in allem getäuscht hatte? Musste auch ich errettet werden? Würden auch meine Augen so leuchten, wenn ich es zuließ, dass Prophet seine Hände auf mich legte?
Ja, flüsterte eine Stimme, die nicht meine eigene war, in meinem Kopf. Ich werde das Licht in dir entdecken.
»Komm zu mir, Tochter«, forderte Prophet mich auf. »Komm näher.«
Ich schüttelte den Kopf, allerdings mit wenig Überzeugung, und spürte erneut den Druck hinter meinen Schläfen. Das Summen der gefangenen Fliege, nur dass die Fliege jetzt größer war. Keine gewöhnliche Stubenfliege, sondern eine Pferdebremse oder etwas noch Größeres. Ein Doppeldecker-Flugzeug vielleicht.
Und dann spürte ich ein Ziehen, als würde jemand versuchen, eine Tür in mir zu öffnen.
»Nein«, sagte ich. Doch ich bemerkte, wie meine Füße sich zu Prophet bewegten. Ich blieb im Abstand von einer Armlänge vor ihm stehen. Er streckte seine Handfläche zu meiner Stirn aus, und ich schnappte nach Luft, als ich das Mal auf seiner Haut sah: gezackte rote Linien, die seinen Handteller zeichneten.
Blitzschlag-Narben.
Gib auf, sagte die Stimme in meinem Kopf. Gib auf und lass dich retten.
Wehre dich nicht gegen mich.
Ich zuckte vor der Hand zurück, die auf mich zukam, aber es war zu spät. Prophets Hand war groß und kräftig, und sein Funke … sein Funke war wie ein Blitz, ein heller, heißer Blitz in meinem Kopf, der alles weiß werden ließ.
Ich spürte, wie er sich in meinem Kopf breitmachte und die Herrschaft übernahm.
Nein! Ich stemmte mich gegen ihn, versuchte, ihn aus meinem Kopf zu denken.
Du bist das fehlende Puzzlestück, sagte die Stimme – seine Stimme. Gott hat mir gesagt, du würdest kommen.
Verschwinden Sie aus meinem Kopf!
Ich öffnete die Augen. Um mich herum sah ich nur Weiß, als hätte ich mich in einem Schneesturm verirrt.
»Ich habe eine Botschaft für Sie«, sagte ich mit schwindender Stimme.
»Wie lautet sie, mein Kind?« Seine Stimme. Stark. Sicher. Wie die Stimme Gottes.
»Gott ist … Gott ist Liebe. Und Sie sind ein falscher Prophet.«
»Schhh«, sagte er leise. Es wird Zeit, dass du schläfst. Schlaf und lass dich retten.
Das Weiß war vollkommen. Blendend.
Ich war weg.
Ich war gerettet.
Ich schlief endlich.
Ich war endlich zur Ruhe gekommen.
Vierter Teil
Wenn es nichts mehr zu verbrennen gibt,
muss man sich selbst in Brand stecken.
Unbekannt
17. April
Das Unwetter
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W ach. Das war ich. Ich war wach, und es war ein neuer Tag, und ich war ein neuer Mensch. Mein altes
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