Die Auserwählte: Roman (German Edition)
starkes Erdbeben verursacht, beginnt ein Dominoeffekt, der rund um den Globus zu spüren sein wird. Die Puente-Hills-Verwerfung wird die San-Andreas-Verwerfung auslösen, die wiederum eine andere Verwerfung auslösen wird und so weiter und so fort. Und Erdbeben werden nicht die einzige Auswirkung sein. Vulkane und Krater werden ausbrechen, und Tsunamis werden ganze Städte auslöschen. Zerstörung wird zu weiterer Zerstörung führen. Vater zufolge ist das Gottes Plan zur Säuberung der Erde.«
Dann verstummte Jeremy, und wir saßen eine Weile schweigend da, bevor er sagte: »Ich kann verstehen, wenn du mich jetzt hasst.«
Ich starrte ihn an. »Warum sollte ich dich hassen?«
Er zog die Mundwinkel nach unten. »So viele Tote. Und deine Mutter wäre beinahe eine von ihnen gewesen.«
»Es war nicht deine Schuld! Wenn du eine Vision gehabt hättest, in der Prophet dich einschlafen lässt, um dich aus dem Weg zu schaffen, hättest du ihm nichts von dem Erdbeben erzählt. Aber diese Vision hattest du nicht. Vielleicht gibt es einige Dinge, die du nicht ändern kannst, wie sehr du dir es auch wünschst.«
Jeremy biss die Zähne aufeinander. Inzwischen zitterte er wieder. »Ich hätte keine Vision brauchen sollen. Ich wusste, wer Vater ist, aber ich wollte mir nicht eingestehen, wie er ist.«
»Du wolltest glauben, dass er besser ist. Aber du kannst keine Verantwortung für Prophets Handeln übernehmen. Er hat dich manipuliert. Er hat dich benutzt. Er hat das getan. Du hast ebenso wenig um diese Visionen gebeten, wie ich darum gebeten habe, so zu sein, wie ich bin – was auch immer das ist. Und noch können wir den Lauf der Dinge ändern, oder etwa nicht? Noch ist es nicht zu spät.«
Er nickte langsam, und mir fiel ein Stein vom Herzen.
»Die Suchenden werden kommen, um dich zu holen«, sagte Jeremy. »Die Erweckung gestern Abend wurde im Fernsehen übertragen. Sie wissen sicher, was passiert ist.«
Sie werden versuchen, dich zu benutzen …
»Bist du dir sicher?«, fragte ich Jeremy. »Ich habe ziemlich deutlich gemacht, dass ich mit den Suchenden nichts zu tun haben möchte.«
Er nickte, doch in seinem Blick verbarg sich etwas. »Ich habe es in einer Vision gesehen. Vater hält bei Sonnenuntergang eine letzte Erweckungszeremonie für alle Jünger ab – um sie am Strand zu versammeln, wo sie ihm zufolge in Sicherheit vor dem Erdbeben sind, das er erwartet. Aber ohne dich wird es ihm nicht gelingen, ein Gewitter zu erzeugen, das stark genug ist, um ein Erdbeben auszulösen. Die Suchenden werden zu der Erweckung kommen, um dich zu holen. Es sei denn, irgendwas ändert sich«, fügte er abwesend hinzu.
»Warum kommen sie nicht jetzt? Wäre das nicht einfacher?«
Jeremy schüttelte den Kopf. »Ich bezweifle, dass sie wissen, wo du bist. Prophet besitzt so viele Immobilien unter so vielen verschiedenen Namen. Seine Jünger überlassen ihm nicht nur ihre Gedanken. Viele von ihnen geben alles auf, einschließlich der Eigentumsurkunden für ihre Wohnungen und Häuser und ihrer Ersparnisse.«
»Und was ist mit Mom?«, fragte ich. »Was ist mit dir? Die Suchenden werden uns alle retten, oder?«
Er hob die Hände. »Ich sehe nur dich in meinen Visionen, aber das bedeutet nicht, dass deine Mom und ich nicht mit dir flüchten werden. Das Einzige, was ich sicher weiß, ist, dass die Suchenden heute Abend kommen werden, um dich zu holen.« Er zwang sich zu einem Lächeln, das es nicht bis zu seinen gequälten Augen schaffte. Ich dachte an die Karten, die Madam Lupescu mir ausgeteilt hatte – die zwei möglichen Varianten meiner Zukunft: die Liebenden und der Tower. Madam Lupescu hatte gesagt, ich müsse eine Wahl treffen, und das hatte ich getan, und dabei würde ich bleiben.
Die Liebenden.
Ich beugte mich zu Jeremy, bis ich die Hitze spürte, die er ausstrahlte. Dann öffnete ich meinen Mund auf seinem und küsste ihn. Jeremy ließ die Arme hängen, aber ich spürte trotzdem, wie sein Licht versuchte, meine Gedanken zu stehlen. Ich sträubte mich dagegen und konzentrierte mich ganz darauf, wie Jeremy sich anfühlte. Auf die Lebendigkeit seiner Haut. Seiner Lippen.
Wir küssten uns, bis wir zu atmen vergaßen, und als wir uns schließlich voneinander lösten, keuchten wir beide. Mir fiel auf, dass einige Knöpfe von Jeremys Hemd offen waren – hatte ich sie aufgeknöpft? –, und ich sah das gezackte rote Mal auf seiner Haut, das aussah, als hätte eine unsichere Hand es gemalt.
Eine verzweigte
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