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Die Auserwählte: Roman (German Edition)

Die Auserwählte: Roman (German Edition)

Titel: Die Auserwählte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Bosworth
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ihnen bemerkte, dass man Brot hatte, scharten sich alle anderen um einen und folgten einem überallhin.
    Ich wollte nicht in die Hosentasche greifen und meine zweihundertsiebzehn Dollar herausholen, weil ich befürchtete, einer der Obdachlosen könnte sie mir aus der Hand reißen und davonlaufen. Dann wurde mir jedoch bewusst, dass ich keine zweihundertsiebzehn Dollar mehr besaß. Ich besaß keinen einzigen Dollar mehr. Das Geld, das ich dem Dealer gegeben hatte, war mit seinem Zelt in Flammen aufgegangen.
    Ich ballte die Hände zu Fäusten. Einen Moment lang glaubte ich, die Erkenntnis, ein weiteres Mal versagt zu haben, würde mir erneut Tränen in die Augen treiben, doch die Quelle war vorerst versiegt.
    »Bitte!«, flehte die Frau. Ihre Tochter lutschte noch immer an ihren Fingern. Dem kleinen Mädchen lief Speichel aus den Mundwinkeln und hinterließ matschige Spuren im Schmutz auf seinem Gesicht. Die Obdachlosen rückten näher an uns heran. Jetzt streckten auch andere die Hand aus. Als ein Mann seine Bitte um Hilfe murmelte, brachen die Pusteln an seinen Lippen auf und sonderten eine Mischung aus Blut und Eiter ab.
    »Bitte«, wiederholte die Frau. »Bitte helfen Sie uns. Lassen Sie uns nicht zu Prophet gehen.«
    »Er manipuliert Leute wie uns.«
    »Er verändert uns. Er legt seine Hände auf uns und verändert uns.«
    »Wir bekommen die Geschichten immer wieder zu hören.«
    »Lassen Sie uns nicht zu ihm gehen.«
    »Tut mir leid«, sagte ich und schluckte mein schlechtes Gewissen hinunter. Es lag mir schwer und sauer im Magen. »Ich habe kein Geld. Ich habe wirklich keins.«
    »Hier«, sagte Jeremy und zog sein Portemonnaie aus der Hosentasche. Er drehte sich im Kreis, nahm einen Schein nach dem anderen heraus und gab jedem der Obdachlosen einen. Ich erhaschte Blicke auf Benjamin Franklins Gesicht, ehe die Hundertdollarscheine verschwanden.
    Ich starrte Jeremy mit offenem Mund an.
    »Danke«, sagte die Frau und war atemlos vor Dankbarkeit. Sie bewegte sich unbeholfen auf ihn zu, als wollte sie ihn umarmen, dann überlegte sie es sich anders und wich wieder zurück. »Vielen Dank.«
    Die übrigen Obdachlosen wiederholten ihren Dank, und einer von ihnen verneigte sich sogar vor Jeremy wie vor einem König.
    »Halten Sie sich vom Weißen Zelt fern«, war alles, was Jeremy erwiderte.
    Als sie gegangen waren, drehte ich mich zu ihm. »Trägst du immer ein Portemonnaie voller Hundertdollarscheine mit dir herum?«
    Er zuckte mit den Schultern und mied meinen Blick, als er sein Portemonnaie wieder einsteckte.
    Ich hatte genug von Jeremys Ausweichmanövern.
    »Sieh mal«, sagte ich. »Du hast unser Haus beobachtet, und du bist mir offenbar gefolgt. Ich weiß es zu schätzen, dass du mir in meiner, ähm … Situation beim Dealer geholfen hast, aber ich wäre auch allein zurechtgekommen.«
    »Nein, das wärst du nicht«, sagte Jeremy mit solcher Überzeugung, dass ich blinzelte.
    »Was?«
    »Er hätte dir wehgetan. Er hätte dich geschlagen, dir den Kiefer gebrochen und dir die Schulter ausgekugelt. Wenn du dann bewusstlos gewesen wärst, hätte dich sein Bodyguard in irgendeine Gasse geworfen und … die Obdachlosen hätten den Rest erledigt.«
    Ich starrte ihn verblüfft an. »Das kannst du doch nicht wissen.«
    »Doch.«
    Ich schüttelte den Kopf, um meine Gedanken zu ordnen. Warum war er sich so sicher? Vielleicht wäre etwas Ähnliches passiert, wenn Jeremy nicht aufgetaucht wäre, aber er war so konkret gewesen.
    »Gut, wie auch immer. Du hast mich gerettet. Du bist ein Held.« Ich sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. »Was hast du mit dem Bodyguard gemacht? Und sag mir jetzt nicht ›nichts‹, weil ich weiß, dass du irgendwas mit ihm gemacht hast. Ist es genauso gewesen wie in Mr Kales Klassenzimmer?«
    Er sah mich groß an, und ich seufzte.
    »Du zwingst mich also dazu, es auszusprechen, hm? Okay, also bitte. Nach der Englischstunde, als wir uns unterhalten haben und ich … ähm … deine Hand berührt habe – was übrigens ein Versehen war –, bin ich ohnmächtig geworden und hatte einen merkwürdigen Traum. Und als ich wieder zu mir kam, warst du weg. Hast du das mit dem Bodyguard auch so gemacht? Du …« Ich kam mir schon allein bei dem Gedanken lächerlich vor. »Du hast ihn in eine Art Traumzustand versetzt?«
    Er griff sich mit einer Hand an den Nacken und knetete ihn. »Das sind keine Träume«, murmelte er.
    »Was ist es dann?«
    »Du würdest mir nicht glauben, wenn ich es dir sagen würde.

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