Die Auserwählte: Roman (German Edition)
Apokalypse bevorsteht, und behauptet, irgendeine Wahrsagerin hätte vor ein paar hundert Jahren eine Vision von mir gehabt, die etwas mit dem Tower zu tun hatte.« Ich sah Jeremys Gesicht forschend an. Er blinzelte nicht einmal. »Außerdem glaube ich, Mr Kale kann Gedanken lesen und sprechen, ohne den Mund aufzumachen. Nicht wie ein Bauchredner, sondern so, als könnte er in deinen Gedanken sprechen. Was sagst du dazu?«
In Jeremys Gesicht war ein leichtes Zucken zu erkennen. »Ich bin der Meinung, du solltest gut auf deine Gedanken aufpassen, wenn du in Mr Kales Nähe bist. Oder ihm ganz aus dem Weg gehen.«
»Klingt das für dich denn kein bisschen merkwürdig?« Ich beantwortete meine Frage selbst. »Für jemanden, der deine Fähigkeiten besitzt, vermutlich nicht.«
Jeremy holte tief Luft und atmete langsam aus. »Das ist schwieriger, als ich erwartet hatte.«
Er trat näher an mich heran und nahm die Hände aus den Hosentaschen, als wolle er sie ausstrecken und mich berühren. Doch er ließ die Arme hängen, gerade und steif, als vertraue er ihnen nicht.
»Was ich dir heute Nachmittag gezeigt habe …«
»Die Träume?«
Er schüttelte den Kopf. »Das sind keine normalen Träume. Das sind Warnungen. Visionen. Und ich habe sie und Tausende andere wie sie, seit ich mich erinnern kann.« Er fixierte mich. »Du bist seit Jahren in meinem Kopf, Mia. Ich habe dich so oft und in so vielen verschiedenen Situationen gesehen, dass ich mich nicht mehr an jedes einzelne Mal erinnern kann. Jetzt stehst du vor mir, und ich weiß nicht, was ich tun soll.«
Ich machte den Mund auf, um etwas zu sagen, ohne zu wissen, was, doch Jeremy hob die Hand, um mich zum Schweigen zu bringen.
»Lass mich ausreden. Ich weiß nicht, wie ich verhindern kann, dass die Dinge, die ich gesehen habe, tatsächlich geschehen. Ich weiß nicht, wie ich irgendetwas von dem verhindern kann, ohne … dich zu fesseln und in einen Schrank zu sperren, bis es vorbei ist.«
»Halt, halt, halt.« Ich ging die Stufen rückwärts hoch. »Mir gefällt ganz und gar nicht, wie das klingt.«
Er raufte sich frustriert das Haar. »Das ist falsch angekommen. Ich wollte damit nicht sagen, dass ich das tatsächlich tun würde. Nur dass ich keine andere Möglichkeit sehe, wie ich dich vor den Suchenden schützen kann. Und vor dir selbst. Ich glaube, du hast nicht die leiseste Ahnung, wozu du im Stande bist, die Suchenden allerdings schon. Und Prophet … wenn er von dir wüsste, würde er …« Jeremy verstummte, als habe er bereits zu viel gesagt.
»Würde er was?«
»Würde er dich haben wollen«, sagte Jeremy ohne Umschweife. »Er würde alles tun, um dich für sich zu gewinnen, und das wäre schlimmer, als wenn du dich den Suchenden anschließen würdest. Aber wenn du dich aus allem heraushältst … Wenn du dich nicht hineinziehen lässt …«
Ich fiel ihm ins Wort. »Denkst du, ich möchte mich in irgendwas von dem hineinziehen lassen? Ich möchte nicht, dass andere Visionen von mir haben oder mir Tarotkarten geben oder versuchen, mich für ihr Apokalypse-Team zu rekrutieren. Und deine Träume oder Visionen oder worum auch immer es sich dabei handelt möchte ich auch nicht.« Ich seufzte. Es war ein Fehler gewesen, nach draußen zu gehen. Ich hatte ohnehin schon mehr Probleme, als ich bewältigen konnte, auch ohne Jeremy, der mir mit seinem gequälten Blick weitere Komplikationen aufbürdete.
»Bitte hör auf, mir zu folgen«, zwang ich mich zu sagen. »Ich möchte, dass du jetzt gehst. Auf Wiedersehen, Jeremy.«
Als ich an der Haustür war, rief er mir hinterher.
»Du schläfst nicht. Zumindest nicht viel.«
Ich drehte mich um. »Woher weißt du das?«
Mein Kopf verdeckte einen Teil der Verandabeleuchtung, sodass Jeremy wieder in der Dunkelheit stand, und die Erinnerung, wo ich ihn schon einmal gesehen hatte, überrollte mich wie eine Sturmflut.
In meinem Traum von dem Jungen mit dem Messer neben meinem Bett.
Nightmare Boy.
Kein Wunder, dass es mir nicht eingefallen war. Ich hatte ihn nicht für echt gehalten.
»Du warst in meinem Zimmer«, sagte ich, bevor ich die Worte aufhalten konnte.
Jeremy machte große Augen, und ich sah die Wahrheit in ihnen.
»Mia, ich …«
»Was hattest du mit dem Messer vor, Jeremy?«
»Nichts!«
»Warum hattest du es dann bei dir? Warum bist du in unser Haus eingebrochen, bist in mein Zimmer gegangen und hast mit einem Messer dagestanden, als wolltest du mich erstechen?«
»Ich schwöre, dass ich das nicht
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