Die Auserwählte: Roman (German Edition)
Moment treten würde.
Meine Reflexe beeilten sich, um meine Wahrnehmung einzuholen, doch es war bereits zu spät.
Ich würde abstürzen.
Und ich würde sterben.
23
I ch stand kurz davor, von der Schwerkraft ermordet zu werden, doch die Zeit verlangsamte sich, sodass ich Reue für all die Dinge empfinden konnte, die ich falsch gemacht hatte, für all die Fehlentscheidungen, die ich getroffen hatte, für all die Menschen, die ich verletzt hatte.
Vielleicht ist es besser so. Einfacher für alle, wenn ich in der Finsternis verschwinde. Dann begehe ich wenigstens nicht die schreckliche Tat, die ich Jeremy zufolge begehen werde.
Mein Herz und mein Magen blieben an Ort und Stelle, während der Rest meines Körpers in die Tiefe stürzte.
»Mia!«
Katrina packte mich und riss mich vom Rand der Kluft weg. Sie war wesentlich kräftiger, als sie aussah, sodass ich anderthalb Meter von der Kluft entfernt auf einem Schutthaufen auf meinem Allerwertesten landete.
Ich versuchte, wieder zu Atem zu kommen, doch mein Herz schien bei jedem Schlag zu explodieren und verzehrte meinen ganzen Sauerstoff.
Katrina atmete ebenfalls schwer. »Du musst aufpassen, wohin du trittst! Manche von diesen Spalten sind Dutzende Meter tief! Du hättest dich umbringen können!«
»Ja. Ja, okay. Danke. Ehrlich.« Ich wischte mir den Dreck von der Hose. Ich konnte Katrina nicht ansehen, als ich noch einmal sagte: »Danke.«
»Sei einfach ein bisschen vorsichtiger, okay? Wir können es uns nicht leisten, dich zu verlieren.« Sie reichte mir die Hand, um mir aufzuhelfen.
Geh nicht in die Wüste, sagte Jeremy in meinen Gedanken, während sich das Bild von mir, wie ich in die Kluft fiel und fiel und fiel, auf einem Karussell drehte.
Gemeinsam näherten Katrina und ich uns dem Rand der Kluft und spähten in ihre schwarze, bodenlose Tiefe. Katrina hob einen faustgroßen Brocken Beton auf und ließ ihn in die Spalte fallen. Wir lauschten. Und lauschten.
Wir hörten ihn nicht auf dem Boden aufschlagen.
Meine Beine zitterten, als wir uns den Weg um die Kluft bahnten und auf der Fifth Street weitergingen. Wir hielten beide den Blick ununterbrochen auf den Boden gerichtet, bis ich noch einmal fragte, wohin wir unterwegs waren. Wo der Rove in dieser Nacht gastierte.
Katrina deutete auf etwas, und meine Augen folgten ihrem Finger.
Sie deutete auf den Tower.
Natürlich, wohin sonst?
Als wir uns dem Tower näherten, tauchten plötzlich andere Leute aus der Dunkelheit auf und schlossen sich uns bei unserem Fußmarsch zum Rove an. Unsere Gruppe wuchs, bis wir etwa dreißig Personen zählten. Das Ganze glich einer Party auf dem Weg zu einer Party. Alle unterhielten sich und lachten, reichten Flachmänner und Joints und Pfeifen weiter und machten sich scheinbar keine Gedanken wegen der Wachposten, die womöglich in der Wüste patrouillierten. Katrina teilte mir mit – was sie schon früher hätte tun sollen –, dass viele der Wachposten gleichzeitig als Ordner fungierten und sich auf diese Weise freien Eintritt zum Rove verschafften.
Sie bewegte sich unter den Besuchern des Rove, als wären sie alte Freunde bei einem Klassentreffen, flirtete ungeniert mit den Jungs und ignorierte die finsteren Gesichter der Mädchen, in deren Gespräche sie sich einmischte. Mir fiel auf, wie sie Leute berührte, bevor sie mit ihnen sprach, und sie auf den Funken testete. Obwohl sie ununterbrochen redete und lachte, während sie ihre Runden machte, verriet ihr Gesichtsausdruck jedes Mal, wenn sie eine neue Person anfasste, extreme Konzentration.
Ich hielt in der wachsenden Menge Ausschau nach Parker, entdeckte ihn jedoch nicht. Vielleicht war er bereits auf dem Rove.
Katrina kehrte wieder zu mir zurück. Sie deutete auf die Rover. »Würde es dich umbringen, mir zu helfen?«
»Du scheinst gut allein zurechtzukommen«, sagte ich. »Außerdem bin ich nicht hier, um dir zu helfen. Sobald ich meinen Bruder gefunden habe, bin ich weg.«
»Ach ja? Und wie willst du nach Hause kommen? Zu Fuß? Willst du ein Taxi rufen?«
Irgendwie hatte sie ja Recht.
»Pass auf, wir machen einen Deal«, sagte Katrina, schwang ihr nicht mehr existentes Haar über die Schulter und machte dann ein finsteres Gesicht, als sie sich daran erinnerte, dass es nur noch zwei bis drei Zentimeter lang war.
»Du willst ständig irgendwelche Deals machen, nicht wahr?«
Sie zuckte mit den Schultern und rückte ihr Korsett zurecht. Ihre Brüste waren gefährlich nahe dran, sich selbst zu befreien.
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