Die Auserwählte: Roman (German Edition)
»Wenn du drei Leute für mich suchst, die den Funken besitzen, dann helfe ich dir, deinen Bruder zu finden, und euch beide nach Hause fahre. Anderenfalls sitzt du hier fest, bis ich sage, dass es Zeit ist zu gehen.«
Ich drehte mich nach rechts und wählte die Person aus, die mir am nächsten war, eine Blondine, die sich Pfauenfedern ins Haar gesteckt hatte. Ich hielt ihr meine Hand hin. »Hi, ich bin Mia. Wie heißt du?«
»Jude.«
Sie machte große Augen, als sich unsere Hände berührten. Ich ebenfalls. Ich spürte, dass sie eine summende, knisternde Reibungselektrizität ausstrahlte.
Das war einfach gewesen.
Sie zog ihre Hand ruckartig zurück, während ich sie mit offenem Mund anstarrte.
»Du hast das auch gespürt, oder?«, fragte sie leise.
Ich zwang meinen Mund dazu zu funktionieren. »Ja. Ja, das habe ich.«
Sie suchte meinen Blick. Ihre Augen waren weit aufgerissen und verängstigt. »Irgendwas stimmt nicht mit mir«, sagte sie im Flüsterton. »Es hat am Tag des Bebens angefangen. Ich war in der Innenstadt, weißt du … als es passierte.« Sie biss sich auf die Lippe. »Jetzt komme ich jeden Abend hierher. Ich weiß nicht mal, warum. Ich kann … ich kann einfach nicht anders. Es ist, als würde mich irgendetwas anziehen. Ist das bei dir genauso?«
Ihre Augen flehten mich an, Ja zu sagen, aber ich wollte sie nicht anlügen. »Es gibt da jemandem, mit dem du dich unterhalten solltest«, sagte ich stattdessen zu ihr. »Sie kann dir alles erklären.«
Ich erblickte Katrina und wollte sie gerade herbeiwinken, als mir ein verzweigtes Mal auf Judes Schulterblatt auffiel, das unter ihrem langen Haar hervorlugte, von dem es fast ganz verdeckt war. Sie bemerkte es und schob ihr Haar über die adrige rote Linie auf ihrer Schulter.
»Das nennt man eine Lichtenberg-Figur«, sagte sie und klang abwehrend, als hätte ich das Mal mit Abscheu betrachtet. »Die habe ich seit dem Unwetter. Eigentlich müsste sie inzwischen wieder verschwunden sein, aber … das ist sie nicht.«
»Du sagtest, du warst während des Bebens in der Innenstadt?«
Sie nickte.
»Bist du …?«
»Vom Blitz getroffen worden?« Sie vollendete meine Frage für mich. »Nein, aber die Frau, die neben mir stand, wurde getroffen. Sie hatte einen Herzinfarkt und war auf der Stelle tot. Ich habe versucht, eine Herz-Lungen-Wiederbelebung zu machen, aber sie war sofort tot.« Jude schnippte mit den Fingern. »Ich spürte aber so eine Art Schock, als die Frau getroffen wurde, beinahe so, als hätte mich irgendwas gestochen. Mein Arzt hat gemeint, dass mich der Blitz womöglich indirekt getroffen hat, dass er von ihr abgeprallt ist und mich kurzzeitig erwischt hat.«
»Entschuldige mich«, sagte ich zu dem Mädchen und ließ es verdutzt stehen.
Ich eilte zu Katrina hinüber, packte sie am Arm und zerrte sie von dem Typen weg, an dem sie hing.
»Was ist denn?«, fragte sie gereizt.
Ich deutete mit einem Nicken auf das Mädchen, auf Jude. »Nummer eins.«
Katrina lächelte. »Das ging ja schnell.« Sie ging auf Jude zu, doch ich ließ ihren Arm so lange nicht los, bis sie mich abschüttelte und dabei zusammenzuckte, als hätte ich sie gezwickt.
»Sie hat mir etwas erzählt. Während des Bebens wurde …« Ich schluckte. »… sie wurde vom Blitz getroffen.«
Katrina nickte. Ich suchte in ihrem Gesicht nach einem Anzeichen für Verwunderung über diese Nachricht, entdeckte jedoch keines.
»Sagt dir das …« Ich musste abermals schlucken. Meine Kehle war strohtrocken. »Sagt dir das irgendwas?«
Ich erinnerte mich an die Worte, die Mr Kale in meinen Gedanken gesprochen hatte und die mich dazu bewogen hatten, so schnell wie möglich von ihm wegzulaufen.
Ich weiß, wer Sie sind. Ich weiß, was Sie sind. Und ich weiß von den Blitzen.
Katrina schüttelte enttäuscht den Kopf. »Der Funke muss doch von irgendwo herkommen, oder nicht? Ich dachte, das wäre dir inzwischen klar. Du hast wirklich eine Begabung für Selbsttäuschung, Mia.«
Meine Hand rutschte von ihrem Arm ab, und sie drehte sich von mir weg. Ich beobachtete, wie sie leise mit Jude sprach. Unter Judes Haar lugte noch immer die Spitze der verzweigten Blitzschlag-Narbe hervor.
Die Energie, die meine Haut verrücktspielen ließ, und der Magnetismus, den ich spürte, seit wir die Wüste betreten hatten, wurden noch stärker, als wir uns unserem Ziel näherten.
Wir kamen als Gruppe an der Drehtür des Tower an, die früher aus Glas bestanden hatte, aber jetzt zersplittert und
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