Die Auserwählte: Roman (German Edition)
werden.
Anschließend lehnte ich mich so unverkrampft wie möglich an Jeremys Rücken an, während wir mit halsbrecherischer Geschwindigkeit dahinrasten. Ich entspannte mich und genoss die Wärme, die sich von ihm auf mich übertrug, sagte mir, dass mir nichts anderes übrig blieb, als sie zu spüren, und dass ich sie ebenso gut genießen konnte, solange es ging, da Jeremy und ich uns nie wieder so nahe sein würden.
26
» Möchtest du reinkommen?« Die Worte überraschten sogar mich, und ich war diejenige, die sie gesagt hatte. Ich war soeben vor unserem Haus von Jeremys Motorrad geklettert und hatte das Gefühl gehabt, irgendetwas sagen zu müssen, doch nur ein Dankeschön war mir irgendwie unpassend erschienen.
Jeremy setzte seinen schwarzen Helm ab. Sein Haar war durcheinander und schrie förmlich danach, zerzaust zu werden, doch ich schaffte es, meine Hände bei mir zu behalten.
»Du möchtest, dass ich reinkomme?«, wiederholte er und senkte den Kopf. »Auch nachdem …« Er brauchte den Satz nicht zu vollenden.
Ich hatte in der Wüste beschlossen, dass es an der Zeit war, die Sache mit den Mordabsichten hinter uns zu bringen, doch in Wahrheit wollte ich nicht, dass er schon ging. Meine Mom und Parker hatten sich gegen mich verschworen. Alle in der Stadt waren verrückt geworden. Jeremy war der Einzige, der noch zu mir hielt, zumindest dann, wenn er nicht gerade versuchte, mich zu töten.
»Hattest du nicht sowieso vor, hier draußen rumzuhängen?«, fragte ich. »Du weißt schon, um mich im Auge zu behalten?«
Er blickte durch seine wirren Haarsträhnen zu mir auf und nickte so unmerklich, dass mir die Bewegung beinahe entgangen wäre.
»Dann kannst du genauso gut da sein, wo du mich tatsächlich sehen kannst«, argumentierte ich.
Ich führte ihn durch den Vordereingang in unser dunkles, stilles Haus und die Treppe hinauf in mein Dachzimmer. Mein Magen fühlte sich so leicht an, dass er wie ein Heliumballon in mir aufzusteigen schien. Ich hatte noch nie einen Jungen in meinem Zimmer gehabt, es sei denn, ich zählte die Nacht, in der Jeremy eingebrochen war, um mich zu erstechen, doch ich versuchte, das aus meinen Gedanken zu verdrängen.
Als ich gerade meine Zimmertür schließen und absperren wollte, hörte ich Parker am Fuß der Treppe flüstern. »Mia?«
Mein Magen machte eine Bruchlandung. »Parker«, sagte ich zu Jeremy in Lippensprache und hob einen Finger, bevor ich wieder ins Erdgeschoss hinunterging.
»Was gibt’s?«, fragte ich beiläufig, als wäre es völlig normal, dass ich mich um vier Uhr morgens hereinschlich.
»Wo warst du?«, wollte Parker flüsternd wissen. »Und wer ist dieser Typ?«
»Welcher Typ?«
»Der, den ich mit dir die Treppe rauf- und in dein Zimmer habe gehen sehen.«
»Ach, der Typ.«
»Ist er nicht derjenige, der aus Mr Kales Klassenzimmer abgehauen ist? Die Suchenden haben dir doch gesagt, du sollst dich von ihm fernhalten, Mia. Sie haben gesagt, er könnte ein Spion der Jünger sein.«
»Die Suchenden sagen vieles, das nicht wahr ist«, blaffte ich ihn an. »Geh ins Bett und kümmere dich um deinen eigenen Kram.«
Parker schüttelte nur den Kopf, um mich wortlos zu warnen. Dann drehte er sich um, ging zurück zu seinem Zimmer und ließ mich blinzelnd im Dunkeln stehen.
Jeremy weigerte sich, das Bett zu nehmen, obwohl ich darauf beharrte, dass ich zu aufgedreht sei, um schlafen zu können, deshalb richtete ich auf dem Parkettboden aus Decken und meinem zusätzlichen Kissen eine Schlafstätte für ihn her. Er legte sich in seiner Motorradjacke hin, deren Reißverschluss er noch immer bis zum Kinn hochgezogen hatte, und schloss die Augen.
Ich streckte mich auf meinem Bett aus. Die Minuten verstrichen. Ich bildete mir ein, eine Uhr ticken zu hören.
Dann stützte ich mich auf dem Ellbogen auf.
»Jeremy?«, flüsterte ich. »Schläfst du?«
Er hob ein Augenlid an. »Nein. Mir geht’s genauso wie dir. Ich brauche nicht viel Schlaf. In den meisten Nächten bin ich wach und lese.«
»Ich auch. Ich meine, dass ich ebenfalls Probleme mit dem Einschlafen habe, nicht dass ich viel lese. Ich bin eher ein Film-Typ. Aber ich kann lesen und tue es auch, manchmal. Ich bin keine Analphabetin oder so. Ich mag Bücher.« Warum quasselte ich eigentlich die ganze Zeit?
»Jeremy?«, fragte ich zögernd.
»Ja, Mia?«
Die Art und Weise, wie er meinen Namen sagte, diese Mischung aus Förmlichkeit und Vertrautheit, machte mich ganz benommen. »Ähm … möchtest du
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