Die Auserwählte: Roman (German Edition)
immer, dass Sie diejenige sind, von der in der Prophezeiung unserer Begründerin die Rede ist, das auserwählte Mädchen, das immer die Turm-Karte ziehen wird. Das Mädchen, das die entscheidende Rolle dabei spielt, ob das sechste Siegel gebrochen wird, und die Apokalypse auslöst.«
»Und was glauben Sie?«, fragte ich ihn.
»Ich glaube, dass dieses Mädchen, um wen auch immer es sich handelt, kein Feigling ist. Also, nein, ich glaube nicht, dass Sie diejenige sind, die uns prophezeit wurde.« Er machte noch einen Schritt auf mich zu und fixierte mich, als läse er meine Gedanken, die wie Untertitel für Hörgeschädigte über meine Augen liefen. Ich spürte einen leichten Druck im Kopf, als würde sich jemand auf ihn lehnen, und ein atmosphärisches, summendes Vibrieren.
»Selbst wenn Sie nicht das Tower-Mädchen sind, wären Sie eine enorme Bereicherung für uns, Mia.« Ein weiterer Schritt. Mr Kale hatte lange Beine. Er war jetzt nur noch einen Schritt von mir entfernt, und das Summen in meinem Kopf glich dem einer Fliege, die in einem Gefäß gefangen war. Mr Kales Stimme hatte einen beruhigenden, hypnotisierenden Klang angenommen. Ich konnte mich nicht dagegen wehren, sie hören zu wollen, und hätte fast nicht bemerkt, als er aufhörte, laut zu sprechen.
Sie können sich uns noch immer anschließen, Mia.
Wir brauchen Sie, Mia.
Hören Sie auf, gegen uns anzukämpfen.
Stehen Sie uns bei.
Kämpfen Sie mit uns.
Er stand jetzt so nah vor mir, dass ich die Hand hätte ausstrecken und ihn hätte wegschubsen können. Doch das tat ich nicht. Ich konnte nicht aufhören, seinen Hals anzustarren. Sein schulterlanges Haar hatte sich am Kragen seines Hemds verfangen, und etwas Haut, die normalerweise verdeckt war, wurde für einen ganz kurzen Moment sichtbar. Gerade lange genug, dass ich einen Blick auf das adrige, rote Mal erhaschen konnte, das hinter Mr Kales Ohr an seinem Hals hinunterführte.
Mr Kale setzte zu einem weiteren Schritt in meine Richtung an. Er streckte die Hände nach mir aus, als wolle er mich in eine Umarmung ziehen. Ich erspähte die kreisrunde Brandnarbe auf seiner Handfläche und spürte Ekel in mir aufsteigen. Was auch immer Mr Kale in meinem Kopf in Bewegung gesetzt hatte, erstarrte. Ich machte zwei schnelle Schritte rückwärts, um mich aus seiner Reichweite zu bringen. Mr Kale machte ein finsteres Gesicht, und der Druck in meinem Kopf verschwand. Er wurde schnell von Wut abgelöst, die so heftig war, als hätte jemand Benzin in das Feuer in meinem Herzen gegossen, und dieses Mal ließ ich es brennen.
»Ich weiß, was Sie vorhaben.« Es war seltsam, wie kalt meine Stimme klang, obwohl ich innerlich brannte. »Sie können mehr, als nur die Gedanken anderer lesen, nicht wahr? Sie können andere Dinge tun lassen, so wie Sie meine Mom einem Haufen Fremder haben erzählen lassen, was ihr zugestoßen ist, obwohl sie es nicht einmal …« Obwohl sie es nicht einmal mir erzählt hat. Ich verdrängte diesen Gedanken aus meinem Kopf, da ich nicht wollte, dass Mr Kale ihn las. »Genau dasselbe wollten Sie gestern hier mit mir machen … Genau darum ging es bei Ihrer kleinen Initiation, bei Ihrem Verbindungsritual. Sie dachten, dass Katrina mich erpresst, würde nicht ausreichen, um meine Loyalität zu sichern, deshalb haben Sie beschlossen, eine todsichere Methode anzuwenden, um mich zu kontrollieren.«
»Ich kann den Willen anderer beugen«, gab Mr Kale zu. In seinem Blick war keine Spur von Reue zu erkennen. »Aber nur dann, wenn ein Teil von ihnen bereit ist, sich zu fügen. Ihre Mutter wollte erzählen, was ihr widerfahren ist, sonst hätte ich sie niemals dazu gebracht. Ist nicht auch ein Teil von Ihnen bereit, Mia, uns zu helfen?«
Ich schüttelte den Kopf. Es wurde Zeit, dass ich dem Ganzen ein Ende setzte.
»Wenn Sie meinen Bruder jemals wieder belästigen, wenn Sie einen von uns beiden auch nur auf eine Art und Weise ansehen, die mir nicht gefällt, informiere ich die Polizei und den Schuldirektor und die Presse und jeden, der bereit ist, mir zuzuhören. Ich sage ihnen, dass sie der Anführer eines Kults sind und dass Sie Schüler rekrutieren. Und wissen Sie, was dann passiert? Sie werden gefeuert. Vielleicht kommen Sie sogar ins Gefängnis. Und wissen Sie, was ich dann tun werde?«
Er presste die Lippen aufeinander. »Was werden Sie tun, Miss Price?«
»Mein Leben führen, als wäre nichts von alledem passiert.«
»Glauben Sie wirklich, dass das möglich ist? Können Sie etwas
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