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Die Auserwählte: Roman (German Edition)

Die Auserwählte: Roman (German Edition)

Titel: Die Auserwählte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Bosworth
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Jeremy auf dem Zettel notiert hatte. Selbst bei geschlossenen Autofenstern spürte ich die Gewitterwarnung auf meiner Haut kribbeln, als trüge ich einen Mantel, in den Nadeln eingenäht waren und der als meine eiserne Jungfrau diente. Doch der Himmel war klar, wolkenlos und unendlich blau.
    Was war, wenn das Unwetter, das ich spürte, sich nicht vom Meer her näherte und sich über dem Wasser zusammenbraute, wie es das hätte tun sollen? Was war, wenn das Unwetter, das ich spürte, aus heiterem Himmel auftauchen würde wie das am Tag des Erdbebens?
    Was war, wenn Prophet doch Recht hatte?
    Ich murmelte vor mich hin: »Nein. Nein, nein, nein. Es kommt kein Unwetter. Es kommt kein Unwetter.«
    Die Fenster von Gebäuden, an denen ich vorbeifuhr, waren mit den gleichen roten Flugblättern zutapeziert, die ich an der Skyline-Highschool gesehen hatte. Telefonmasten ebenfalls. Die Türen von Häusern. Von Wohnungen. Bäume. Wohin ich auch sah, es waren Tausende. Ich brauchte sie nicht zu lesen, um zu wissen, was auf ihnen stand.
    Bitte beeilt euch, es wird Zeit.
    »Es kommt kein Unwetter«, setzte ich mein Mantra fort. »Es kommt kein Unwetter.«
    Der Verkehr auf den Hauptstraßen bewegte sich Stoßstange an Stoßstange voran und glich einem langen schmalen Parkplatz, der sich meilenweit nach Norden und Süden erstreckte. Es hatte den Anschein, als habe die halbe Stadt plötzlich beschlossen, dass heute der richtige Tag war, um das Weite zu suchen. Vielleicht hatten sie Prophets Verkündung gehört, dass für morgen der Anfang vom Ende anberaumt war, und sich überlegt, dass es nicht schaden könne, einen gewissen Abstand zwischen sich und Los Angeles zu bringen.
    »Es kommt kein Unwetter.«
    Ich verließ die Hauptstraßen und bahnte mir den Weg durch Nebenstraßen. Die roten Flugblätter waren überall in der Stadt. Ohne Zweifel steckten die Suchenden dahinter. Sie versuchten offenbar, so viele Menschen wie möglich für einen letzten Rove zu versammeln. Eine letzte Rekrutierungsanstrengung, wenngleich sie etwas spät kam, wenn sie tatsächlich glaubten, dass Prophets Unwetter morgen eintreffen würde.
    Ich schüttelte den Kopf. »Es. Kommt. Kein. Unwetter.«
    Der Himmel war bereits violett, als ich mein Ziel fand, ein kleines, malerisches Haus in einer Sackgasse in Culver City. Es war nur wenige Meilen von unserem Haus in Venice entfernt, trotzdem hatte ich fast zwei Stunden gebraucht, um dorthin zu gelangen.
    Die meisten Häuser in dieser Straße sahen von außen entweder unbewohnt oder unbewohnbar aus. Ein paar waren eingestürzt. Bei anderen waren sämtliche Fensterscheiben zersplittert. Wände waren mit Farbe besprüht worden. Die Rasenflächen waren gelb. Zwei Häuser schienen jedoch unversehrt geblieben zu sein: dasjenige, dessen Adresse Jeremy mir gegeben hatte, und ein anderes auf der gegenüberliegenden Straßenseite, in dessen Fenster ein Schild hing, das in einer altmodischen Schrift verkündete:
    HELLSEHERIN
    spezialisiert auf Handlesen, Auren und Tarot
    Ich griff in meine Hosentasche und tastete nach der Tarotkarte, die mir Katrina in meinen Spind gesteckt hatte. Bevor ich wusste, was ich tat, hatte ich bereits die Straße überquert und stand vor der Tür der Hellseherin. »Bitte anklopfen« stand auf einem Schild von der Größe eines Kaugummistreifens, das über dem Türknauf befestigt war. Ich klopfte.
    Katrina und Mr Kale hatten behauptet, das Tower-Mädchen würde immer die Turm-Karte ziehen. Ich hatte sie zweimal aus Katrinas Kartenstapel gezogen, was zwar seltsam war, sich aber durchaus als Zufall erklären ließ. Ich wollte ein für alle Mal beweisen, dass ich nicht das Tower-Mädchen war. Ich würde die Hellseherin um eine Kartenlesung bitten, dann würde sich schon zeigen, inwiefern sich das Ergebnis von Katrinas Karten unterschied.
    Die Tür ging einen Spalt auf, und ein Auge spähte heraus. »Ja? Wer ist da?« Die Stimme der Frau klang wie ein tiefes Gurgeln.
    Ich setzte mein wärmstes Lächeln auf. »Ich hätte gerne eine Tarotkartenlesung.«
    Die Tür schwang auf. »Kommen Sie rein«, sagte eine winzige, bucklige Gestalt in einem mehrschichtigen Samtrock mit einem gestrickten Schal um die Schultern. Ihr Haar war lang und grau und reichte bis unter ihre Brüste. Es sah aus, als habe sie es diesen Monat noch nicht gebürstet.
    Toll, dachte ich. Von all den Hellseherinnen in Los Angeles hatte ich mir ausgerechnet diejenige ausgesucht, die wie eine entflohene Schaustellerin wirkte. Trotzdem folgte

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