Die Auserwählte: Roman (German Edition)
ignorieren, von dem Sie wissen, dass es wahr ist? Ich habe in Ihre Gedanken gesehen, Mia. Ich weiß, was Sie getan haben. Ich weiß von dem Mann, den Sie verletzt haben, bevor Sie nach Los Angeles gekommen sind. Aber ich weiß auch von dem Mädchen, das Sie gerettet haben. Janna war ihr Name, nicht wahr? Sie haben sie zurückgeholt, sie geheilt. Ich weiß, dass Sie Angst vor Ihren Fähigkeiten haben, aber das ist erst recht ein Grund, sich uns anzuschließen. Sie brauchen uns ebenso sehr, wie wir Sie brauchen. Wenn Sie mich lassen, kann ich Ihnen helfen, Ihre Fähigkeiten zu kontrollieren.«
Sie werden versuchen, dich zu benutzen …
Ich ballte die Hände zu Fäusten. Ich war niemandes Werkzeug.
»Katrina hat mir von Ihrer Befehlskette erzählt«, entgegnete ich. »Der mächtigste Suchende hat das Kommando, richtig? Falls ich Ihrem Kreis beitreten sollte, wäre ich das, nicht wahr? Ich würde Ihren Platz einnehmen.«
Mr Kale zog die Augenbrauen hoch. »Das hat Ihnen Katrina gesagt?«
»Sie hat mir genug gesagt. Ist es das, was Sie von mir wollen? Sie möchten, dass ich Ihren Kult anführe?«
»Nein … nicht direkt.« Zum ersten Mal, seit ich mich erinnern konnte, machte Mr Kale den Eindruck, als würde er sich unwohl fühlen. Er senkte den Blick und trat von einem Fuß auf den anderen, als sei er ertappt worden und weigere sich, es zuzugeben.
»Was dann? Was wollen Sie von mir?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Dann werde ich mich Ihnen nie anschließen.«
Ich drehte mich um, ging zur Tür und wollte den Raum verlassen, als mich die Erkenntnis abrupt stoppte.
Die Vision von den Märtyrern.
Ich spürte ein Gewicht auf der Brust, als stünde jemand auf mir, und konnte kaum noch atmen.
Die Vision von den Märtyrern. Jeremys Visionen.
Sie werden versuchen, dich zu benutzen.
Plötzlich wusste ich, was die Suchenden von mir wollten, und das war nicht, dass ich sie in ihre letzte Schlacht führte.
Sie wollten, dass ich für sie starb.
Der automatische Schließmechanismus ließ Mr Kales Tür mit einem Knall hinter mir zuschlagen, der in meinen Ohren laut wie ein Schuss dröhnte.
Einmal mehr rannte ich vom Raum 317 weg. Da die Korridore menschenleer waren, kam mir niemand in die Quere. Ich lief zwei Treppen hinunter, wurde nicht langsamer, bis ich den Hauptkorridor im Erdgeschoss erreichte, und blieb dann wie angewurzelt stehen.
An jedem Kleiderspind im Korridor war mit Klebeband ein rotes Flugblatt befestigt. Ein Bild der Suchenden mit ihren roten Umhängen und ihren schwarzen Masken schoss mir durch den Kopf.
In der Mensa standen Schüler Schlange, um sich ihre Essensrationen abzuholen, und ich sah, dass viele von ihnen rote Flugblätter in der Hand hielten und sich aufgeregt in Gruppen unterhielten, während Jünger in Weiß sie aus einer gewissen Entfernung genau beobachteten.
Ich beschloss, heute auf meine Essensration zu verzichten. Ich musste raus aus dieser Schule.
Ich eilte zu meinem Spind, um meine Sachen zu holen, und machte mir nicht die Mühe, die Flugblätter im Vorbeilaufen zu lesen. Ich wollte gar nicht wissen, was auf ihnen stand. Am Rand meines Blickfelds verschwammen die roten Zettel zu einer langen Blutspur. Als ich bei meinem Spind ankam, konnte ich den Worten, die auf die Flugblätter gedruckt waren, jedoch nicht mehr ausweichen.
DIE PARTY ZUM ANFANG VOM ENDE
17. APRIL
AUF DEM DACH DER WELT
BITTE BEEILT EUCH, ES WIRD ZEIT
»Bitte beeilt euch, es wird Zeit.«
Ich wirbelte herum und sah Parker, der mit seiner Essensration in der Hand hinter mir stand und über meine Schulter hinweg laut vorlas. Ich riss das Flugblatt von meinem Spind, zerknüllte es und warf es in den nächsten Papierkorb.
»Fährst du mit mir nach Hause?«, fragte ich.
»Klar. Warum sollte ich nicht?«
»Ich dachte, du fährst vielleicht bei dem mit, der dich heute Morgen zur Schule mitgenommen hat.«
»Nein«, entgegnete er. Ich wartete darauf, dass er noch etwas hinzufügte, dass er mir verriet, bei wem er mitgefahren war, doch er beließ es dabei.
Sie werden versuchen, dich zu benutzen …
Ich hätte meinem Bruder gerne von meinem Verdacht erzählt, weshalb die Suchenden unbedingt wollten, dass ich mich ihnen anschloss. Allerdings befürchtete ich, dass Parker mir nicht glauben würde. Dass er denken würde, ich würde versuchen, ihn wieder auf meine Seite zu ziehen.
Er vertraute mir ebenso wenig wie ich ihm.
Also sagte ich nichts, drehte mich um und öffnete das Zahlenschloss an meinem Spind.
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