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Die Auserwählte

Die Auserwählte

Titel: Die Auserwählte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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steckte ich bis zum Hals drin.« Sie sah abermals zu mir herüber. »Dann kamst du.« Sie zuckte mit den Achseln und blickte wieder auf die Straße. »Ich hätte dich ihnen weggenommen, wenn ich gekonnt hätte, Is.« Wieder sah sie mich an, und zum erstenmal vermeinte ich, eine gewisse Unsicherheit in ihrem Blick zu erkennen. »Wenn du nicht an dem Tag geboren worden wärst, an dem du nun mal geboren wurdest… nun, dann hätten sie mir vielleicht erlaubt, dich mitzunehmen, nach dem Feuer. Nun ja.« Sie zuckte ein letztes Mal die Achseln und konzentrierte sich wieder auf die Straße.
    Ich drehte mich um und beobachtete die Straße, die sich vor uns entrollte, die Autos wie entschlossene Pakete aus Metall, Glas und Gummi, in denen sie die zerbrechliche menschliche Fracht transportierte.

 
Kapitel
Fünfzehn
     
     
    High Easter Offerance war an jenem Tag wunderschön; der sanfte Wind war warm, die Luft war klar und erfüllt vom Rascheln des jungen Laubs; der Sonnenschein verwandelte jedes Blatt in einen grünen Spiegel. Wir parkten den Wagen an dem von Schlaglöchern übersäten Halbkreis aus unkrautüberwuchertem Asphalt vor dem zugerosteten Tor. Sophis Morris stand nicht dort, also nahm ich an, daß sie auf der Arbeit war. Yolanda und ich gingen die geschwungene Auffahrt hinunter, deren bröckelnder, bemooster Belag sich wie ein langer Teppich aus Schatten und rastlosem, flackerndem Licht unter den überhängenden Bäumen entlangzog. Meine Lederhose knarrte. Die lange, schwarze Jacke, die Yolanda mir gekauft hatte, fühlte sich leicht und elegant an. Je näher wir der Farm kamen, desto unpassender gekleidet und verseucht von den Vergnügungen der vorangegangenen Nacht fühlte ich mich. Ich befingerte die kleine schwarze Perle am Kopf der Hutnadel, die Yolanda mir vor Jahren geschenkt hatte und die ich von meiner alten Jacke abgenommen und in das Revers meiner neuen gesteckt hatte (es hatte mir große Freude bereitet, daß die Polizei sie nicht entdeckt hatte). Ich rieb die glatte schwarze Perle zwischen meinen Fingern wie einen Talisman. Ich überlegte kurz, meine Jacke schmutzig zu machen, aber das wäre lächerlich gewesen. Ich war froh, daß ich meine alten Stiefel behalten hatte, obgleich ich zunehmend bereute, sie – ebenso wie meinen alten Hut – geputzt zu haben.
    »Himmel, ihr baut all eure Straßen so schmal«, bemerkte Yolanda, während sie sich an einem Dornenbusch vorbeidrängte, der über die Auffahrt ragte.
    »Es ist nur überwuchert«, erklärte ich ihr und wechselte meinen Seesack auf die andere Schulter. Meine Gefühle waren gemischt: Freude ob meiner Rückkehr nach Hause und Beklommenheit ob der Aussicht auf ein möglicherweise frostiges Willkommen, wie Yolanda es angedeutet hatte.
    »Ja, aber ihr macht es trotzdem«, beharrte Yolanda. »Einige der Straßen im Norden… ich meine, habt ihr was gegen Teer? Ich dachte, die Schotten hätten das verdammte Zeugs erfunden.«
    Das Haus der Woodbeans stand Wache am steilen Flußufer, vor der alten Eisenbrücke. Ich schaute zu dem stillen Haus hinüber, während Yolanda kopfschüttelnd die Löcher im Deck der Brücke und den schmalen Weg aus zusammengesuchten Brettern, der über sie hinweg führte, beäugte. Zehn Meter weiter unten strömte der Fluß träge dahin.
    »Halt meine Hand«, sagte Yolanda und streckte ihre Hand hinter sich aus. Ich trat vor und ergriff ihre Hand, während sie zaudernd einen Fuß auf das erste Brett setzte. »Bald muß man schon Indiana Jones sein, um zu euch zu kommen…«
    *
    Die Auffahrt ließ die Bäume hinter sich und stieg ein wenig an, während sie zwischen dem Apfelgarten zur Linken und dem Rasen vor den Gewächshäusern zur Rechten verlief. Zwei angebundene Ziegen blickten kauend auf und beobachteten uns, als wir herankamen. Wir sahen die jüngeren Schulkinder, die in geordneter Zweierreihe aus dem Gewächshaus kamen; eins von ihnen bemerkte Oma Yolanda und mich und rief unsere Namen. Im nächsten Moment hatte sich die Reihe aufgelöst, und die Kinder kamen auf uns zugelaufen. Bruder Calum tauchte hinter den rennenden Kindern auf, sein Gesichtsausdruck zuerst besorgt, dann erfreut, dann wieder besorgt.
    Yolanda und ich wurden umzingelt von einem kleinen Feld aus stoppelhaarigen Kindern, die plappernd und lachend ihre Arme hochreckten, um hochgehoben und geherzt zu werden, während andere meine Lederhose zwickten und streichelten und lautstark meine Jacke und mein Hemd bewunderten. Calum stand an der offenen Tür des

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