Die Auserwählte
Kopf.
»Wirst du auf direktem Weg wieder zurückkommen?«
»Nein; anschließend fahre ich erst mal nach San Remo, Italien.«
Ich überlegte. »Ich dachte, dein anderes Haus wäre in San Remo, Long Island.«
Yolanda nickte. »Dort habe ich ein Haus, und in Italien habe ich eine Wohnung.«
»Ist das nicht verwirrend?«
»Für das Finanzamt schon«, erwiderte Yolanda und schaute grinsend zu mir herüber. »Wenn ich es mir so überlege, jetzt, wo Rußland die Grenzen geöffnet hat, könnte ich mir Häuser in deren Petersburg und in Petersburg, Virginia, kaufen. Das würde die von der Steuer auch mächtig durcheinanderbringen.«
»Wirst du je irgendwo zur Ruhe kommen, Großmutter?«
»Nicht einmal in einer Urne, Kind; ich will, daß meine Asche in alle vier Winde verstreut wird.« Sie sah mich an. »Vielleicht könntest du das für mich tun. Wenn ich es in meinem Testament verfügen würde, würdest du es doch machen, oder?«
»Hm«, erwiderte ich, »nun, ich… ich denke schon.«
»Guck nicht so entsetzt; wahrscheinlich ändere ich sowieso noch meine Meinung und lasse mich statt dessen einfrieren. Das können die heutzutage machen.«
»Wirklich?« Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wovon sie sprach.
»Egal«, sagte Yolanda. »Prag, San Remo, dann wieder Schottland. Ich werde versuchen, bis Ende des Monats wieder zurück zu sein.«
»Oh, zum Fest.«
»Nun, nein, nicht unbedingt, aber wie sieht’s damit eigentlich aus? Für dich persönlich, meine ich?«
Ich rutschte unbehaglich auf meinem Sitz herum und betrachtete die Landschaft aus Wiesen und Hügeln. »Was, äh -?«
»Du weißt, was ich meine, Isis«, fiel sie mir sanft ins Wort.
Ich wußte, was sie meinte. Ich wußte es so gut, daß ich nun schon sehr lange mit aller Macht versucht hatte, nicht darüber nachzudenken, und diese ganze Suche nach Morag war ein Weg gewesen, es zu vergessen. Aber jetzt war Morags Spur endgültig kalt geworden, und in der Gemeinde schien es ein Problem zu geben, das meine Rückkehr verlangte, und so blieb mir keine andere Wahl, als mich der Frage zu stellen: Was soll ich tun?
»Isis. Bist du glücklich damit, in dieser Form an dem Liebesfest teilzunehmen oder nicht?«
»Es ist meine Pflicht«, erwiderte ich verhalten.
»Unsinn.«
»Aber das ist es«, sagte ich. »Ich bin die Auserwählte Gottes.«
»Du bist eine erwachsene Frau, Isis. Du kannst tun, was immer du willst.«
»Nicht wirklich. Es werden gewisse Erwartungen an mich gestellt.«
»Hui.«
»Ich bin die dritte Generation; es gibt niemanden sonst.
Soweit es Schaltjährige betrifft, fällt die Wahl auf mich«, erklärte ich. »Ich meine, jeder kann ein Schaltjähriger sein; es muß niemand in der Familie oder selbst aus der Gemeinde sein, solange der oder die Betreffende unserem Glauben angehört, aber es wäre… schöner, wenn es in der Familie bleiben würde. Großvater hatte gehofft, daß vielleicht Morag die nächste Generation gebären würde, aber sie gehört nicht einmal mehr unserem Glauben an…«
»Das bedeutet nicht, daß du versuchen mußt, die nächste Generation zu liefern, wenn du es nicht willst.« Meine Großmutter sah mich an. »Willst du es, Is? Willst du jetzt Mutter werden? Na?«
Ich hatte das ungute Gefühl, daß Yolanda den Blick nicht wieder auf die Straße richten würde, bis ich antwortete. »Ich weiß es nicht«, sagte ich; ich wandte den Blick ab und betrachtete den Turm von Lithgow Palace, der hinter dem Kamm eines niedrigen Hügels zu meiner Linken auftauchte. »Ich kann mich einfach nicht entscheiden, was ich tun soll.«
»Isis, laß dich von ihnen nicht unter Druck setzen. Wenn du jetzt noch kein Kind haben willst, dann sag es ihnen einfach. Zum Teufel, ich kenne diesen alten Tyrannen; ich weiß, daß er einen weiteren ›Auserwählten‹ haben will, um… nun, um diese Religion am Laufen zu halten, aber du bist noch jung; es ist noch viel Zeit; es gibt immer noch das nächste Fest. Und wenn du nie findest, der richtige Zeitpunkt wäre gekommen, dann -?«
»Aber beim nächsten Fest wird der Druck nur um so stärker sein!« rief ich aus.
»Nun, dann – « setzte Yolanda an, dann blickte sie mich stirnrunzelnd an. »Einen Moment mal; bist du sicher, daß 2000 überhaupt ein Schaltjahr ist?«
»Ja, natürlich.«
»Ich dachte, ein Jahr wäre ein Schaltjahr, wenn man es durch vier teilen kann, es sei denn, es ist auch durch vierhundert teilbar, dann ist es kein Schaltjahr.«
»Nein«, erwiderte ich seufzend (uns war
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