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Die Auserwählte

Die Auserwählte

Titel: Die Auserwählte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Detektiv, ging es mir durch den Sinn. Ich hatte dabei versagt, Morag aufzuspüren, und nun versagte ich dabei herauszufinden, wie und warum jemand es so hatte aussehen lassen, als wäre ich ein gemeiner Dieb.
    Ich schüttelte den Kopf ob meiner eigenen Unfähigkeit und erhob mich mit knirschender Hose, wenn nicht knirschenden Gelenken, um mir den Staub von den Kleidern zu klopfen, mich vom Fluß zu verabschieden und zu dem zurückzukehren, was immer mich in der Gemeinde erwarten mochte.
    *
    Ich kehrte gegen sechs Uhr zum Herrenhaus zurück; im Büro sagte mir Allan, Salvador hätte früh zu Abend gegessen und machte nun ein Nickerchen; er werde mich rufen lassen, wenn und sobald Großvater mich sehen wollte. Ich ging ins Haus zum Abendessen, das in der Küche mit verschiedenen Brüdern und Schwestern in einer ungewöhnlich angespannten Atmosphäre stattfand, die nur davon gelockert wurde, daß die Kinder kaum weniger ausgelassen und lautstark als sonst waren. Schwester Calli, die an jenem Abend die Aufsicht über die Küche führte, sprach kein Wort mit mir und servierte mir auch demonstrativ nicht meine Speisen. Astar war freundlicher, wenn auch so still wie immer; sie trat einfach nur zu mir, stellte sich neben mich und klopfte mir auf die Schulter. Einige der Jüngeren versuchten, mir Fragen zu stellen, doch sie wurden jedesmal sofort von Calli oder Calum zum Schweigen gebracht.
    Ich ging wieder zum Herrenhaus hinüber. Ich sagte Schwester Erin Bescheid, daß ich in der Bibliothek sein würde, und dort saß ich dann und versuchte, aller inneren Unruhe zum Trotz, einige Passagen aus der vorherigen Ausgabe der Orthographie zu lesen, bis ich schließlich aufgab und einfach nur dasaß, meinen Blick über die Tausende von Büchern schweifen ließ und mich fragte, wie viele ich davon schon gelesen hatte und wie viele ich noch lesen mußte.
    Ich griff zu Der Fürst und las einige meiner Lieblingspassagen, dann ging ich wieder zu Erin und sagte ihr Bescheid, daß ich im Versammlungssaal sein würde – dem ehemaligen Ballsaal des Herrenhauses, wo die Orgel stand.
    Ich setzte mich an die alte Orgel und spielte – einmal abgesehen von dem Klicken und Klacken meiner Finger auf den Tasten und meiner Füße auf den Pedalen – lautlos darauf, zog Register und ließ meine Hände über die Manuale tanzen, streichelte das Instrument, hämmerte darauf ein, während ich hin und wieder leise vor mich hin summte oder zischte, doch hauptsächlich lauschte ich auf die Musik in meinem Kopf, lauschte auf ihre fließende, pulsierende Kraft und den markerschütternden Widerhall, die einzig in meinem Kopf existierten. Ich spielte, bis mir die Finger weh taten, und dann kam Schwester Jess, um mich zu holen.
    Jess ließ mich im Wohnzimmer von Großvaters Gemächern stehen, während sie nachsah, ob er schon bereit war, mich zu empfangen. Sie kehrte aus dem Schlafzimmer zurück und schloß die Tür zu dem dunklen Raum dahinter. »Er nimmt noch ein weiteres Bad«, erklärte sie und klang gereizt. »Er ist heute in einer komischen Stimmung. Macht es dir etwas aus zu warten?«
    »Nein«, erwiderte ich.
    Jess lächelte. »Er sagte, ich solle etwas zu trinken anbieten; sollen wir?«
    »Warum nicht«, erwiderte ich ebenfalls lächelnd.
    Schwester Jess öffnete den Barschrank; ich lehnte einen Whisky ab, da mein Kater von der vorangegangenen Nacht noch nicht lange genug vergessen war, und nahm statt dessen ein Glas Wein. Schwester Jess entschied sich für einen Whisky, stark verwässert.
    Wir machten es uns auf zwei mit Sitzbrettern versehenen, doch ansonsten recht ausladend gemütlichen Sofas bequem und plauderten eine Weile. Schwester Jess ist Ärztin; sie ist schlank und hat langes schwarzes Haar, das sie zu einem einzelnen langen Zopf geflochten trägt. Sie ist um die Vierzig und nun schon seit fast vierzehn Jahren bei uns. Ihre Tochter Helen ist dreizehn, und Salvador mag der Vater des Kindes sein oder nicht.
    Ich habe mich immer recht gut mit Jess verstanden, obgleich ich mich manchmal frage, inwieweit sie vielleicht der Ansicht ist, ich würde ihr durch meine Fähigkeit zu heilen etwas von ihrer Autorität rauben.
    Ich erzählte ihr von meiner Reise in den Süden; sie gestand mir, daß sie mich zuerst für verrückt gehalten hätte, weil ich in einem Reifenschlauch nach Edinburgh fahren wollte, doch jetzt gratulierte sie mir dazu, daß ich es geschafft hatte. Davon, daß ich eine Signalanlage der Bahn manipuliert hatte, hielt sie bedeutend

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