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Die Auserwählte

Die Auserwählte

Titel: Die Auserwählte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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weniger, doch sie nahm es hin. Soweit ich wußte, gab es keine Nachrichtensperre bezüglich der Dinge, die ich in England herausgefunden hatte, und so ließ ich Jess zwar schwören, kein Sterbenswörtchen verlauten zu lassen, bis wir wußten, wie Salvador zur allgemeinen Verbreitung derartiger Neuigkeiten stand, fühlte mich aber ansonsten durch nichts davon abgehalten, ihr von Morags Alter ego, Fusillada, zu erzählen. Als sie davon hörte, hätte sie sich fast an ihrem Whisky verschluckt.
    »Du hast eins dieser Videos gesehen?« fragte sie.
    »Durch einen reinen Glücksfall, ja.«
    Sie blickte zur geschlossenen Tür von Salvadors Schlafzimmer. »Hmmm, ich frage mich, was er wohl dazu sagen wird?«
    »Ich nehme an, Allan hat es ihm schon erzählt?«
    Sie schaute abermals zu der geschlossenen Tür und beugte sich zu mir vor. »Ich glaube, er hat eine ganze Menge mitangehört, als er vor der Bürotür stand«, sagte sie leise.
    »Oh.«
    »Laß uns noch etwas trinken«, sagte sie. »Es wird auch langsam Zeit, die Lampen anzuzünden.«
    Wir zündeten die Lampen an und füllten unsere Gläser auf.
    »Wie geht es Salvador?« fragte ich Jess. »Ist er gesund und munter?«
    Sie lachte leise. »Stark wie ein Ochse«, erwiderte sie. »Ihm geht es gut. In der letzten Zeit hat er sich etwas überanstrengt und zu viel Whisky getrunken, aber ich denke, daß liegt nur an den ganzen Änderungen und Überarbeitungen, die er vornimmt.«
    »Oh«, sagte ich. »Er kommt allein ganz gut damit zurecht?«
    »Allan hat ihm geholfen; er und manchmal auch Erin.«
    »Oh. Nun, das ist schön.«
    »Dadurch hatte er wenigstens etwas, was ihn beschäftigt hat«, sagte Jess und schaute abermals zur Tür. »Ich glaube, er wird langsam ungeduldig, was das Fest betrifft.«
    »Ich vermute, so geht es allen.«
    »Einige haben mehr Grund dazu als er«, erwiderte sie leise und beugte sich mit einem verschwörerischen Grinsen noch dichter heran. Ich tat mein Bestes, den Gesichtsausdruck nachzuahmen. »Aber egal«, sagte sie und lehnte sich wieder zurück. »Was ist passiert, nachdem du festgenommen wurdest?« Sie hielt sich kichernd die Hand vor den Mund.
    Ich erzählte ihr den Rest meiner Geschichte, wobei ich mich mit nunmehr geübter Leichtigkeit vom Strom der Ereignisse dahintragen ließ. Gerade sollte Oma Yolanda ihren großen Auftritt haben – und Jess lachte noch immer ob der Vorstellung, wie ich festgenommen worden und dabei im Fernsehen zu bewundern gewesen war –, als wir bemerkten, daß unsere Gläser schon wieder leer waren. Jess lauschte leise an der Schlafzimmertür, dann kam sie auf Zehenspitzen wieder herübergeschlichen und flüsterte, den Finger auf die Lippen gelegt: »Er singt. Er ist immer noch in der Badewanne.« Dann schlich sie zum Barschrank.
    »Danke«, sagte ich, als ich mein neu gefülltes Glas entgegennahm.
    »Prost.«
    »Runter damit.«
    »Du warst mit Yolanda zusammen, stimmt’s?«
    »Sie färbt unweigerlich auf einen ab«, gestand ich, während wir uns wieder hinsetzten. Ich nahm den Faden meiner Geschichte wieder auf. Ich war beinahe am Ende angelangt, als es klingelte; die altmodische Glocke hoch oben in der Zimmerecke schellte weiter, während Jess ihr schlichtes graues Gewand richtete und zur Schlafzimmertür ging. Ich schnürte meine Stiefel auf.
    Sie steckte ihren Kopf zur Tür hinein, und ich hörte Großvaters Stimme, dann drehte Jess sich um und nickte mir zu. Ich trank mein Glas aus und stieg zum Schlafzimmer hinauf.
    Die Tür schloß sich hinter mir.
    Großvater saß an einem Ende des Raums, gegen einen Berg aus Kissen gelehnt. Kerzen brannten auf dem Bord, das um den gesamten dunklen Raum herumführte, und erfüllten ihn mit ihrem weichen gelben Licht und ihrem schweren Duft. Räucherstäbchen ragten fächerförmig aus einem kleinen Messinghalter auf dem Bord neben Salvador. Mein Großvater saß in seine wallenden Gewänder gehüllt da, sein Gesicht eingerahmt von einer Mähne aus flauschig getrockneten, weißen Locken. Er sah aus wie eine Kreuzung zwischen Buddha und dem Weihnachtsmann. Er musterte mich.
    Ich machte das Zeichen und verbeugte mich leicht vor ihm; das Bett schwankte leicht unter meinen bestrumpften Füßen wie ein sanft wogendes Meer. Salvador nickte kurz, als ich mich wieder aufrichtete. Er zeigte auf eine Stelle dicht vor sich und zu seiner Linken.
    Zu seiner Rechten sitzen zu dürfen, wäre besser gewesen, aber wahrscheinlich wäre diese Hoffnung zu groß gewesen. Ich setzte mich im

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