Die Auserwählte
auch, durch mich, aber ich würde Gefahr laufen, dich zu verlieren.«
»Was?« rief ich aus und drängte mich dichter an ihn. »Was hat Er gesagt?«
Großvater wandte abermals den Blick ab und vergrub das Gesicht im Bettzeug. »Vertraust du mir?«
»Von ganzem Herzen!« sagte ich und schlang meine Arme um ihn.
Er wandte sich wieder zu mir um. »Vertraust du mir wirklich?«
»Das tue ich.«
Er schien mir nicht wirklich in die Augen sehen zu können. »Isis«, sagte er. Er schien zu zaudern.
»Was?« Ich umarmte ihn noch immer.
»Wirst du mir vertrauen?« flüsterte er.
»Ich werde dir vertrauen.«
»Wirst du mir glauben?«
»Ich werde dir glauben.«
Er stieß einen tiefen, tiefen Seufzer aus und erhob sich langsam und mühselig vom Bett. Ich half ihm hoch, und er bedankte sich mit einem Nicken. Er stand da und schaute auf die Stelle des Bords, wo die Whiskyflasche zwischen den Duftkerzen stand und die Räucherstäbchen in ihren Messinghaltern brannten. Ich stand dort neben ihm auf dem unebenen, schwankenden Bett, und mein Kopf füllte sich mit der trunken machenden Wärme des parfümierten Raums. Großvater trat einen Schritt vor und blies mehrere Kerzen aus, ließ nur eine neben der Whiskyflasche brennen. Er machte einen Schritt zur Seite und blies weitere Kerzen aus, so daß es ganz schummrig im Raum wurde. Er ging an der Wand entlang und blies alle Kerzen bis auf eine weitere aus, dann machte er sich daran, die Kerzen auf dem Bord neben der Tür zum Wohnzimmer auszublasen. Ich drehte mich um und beobachtete ihn verständnislos. Er blies alle Kerzen bis auf zwei an der gegenüberliegenden Wand, unter den mit schweren Vorhängen verhüllten Fenstern, aus. An der Tür zum Badezimmer hielt er inne, mit dem Rücken zu mir. »Wir müssen uns ausziehen«, sagte er.
»Ausziehen?« fragte ich.
Er nickte. »Ausziehen«, wiederholte er und beugte sich vor, um eine weitere Kerze auszublasen.
Ich schluckte. Ich konnte kaum denken. Was mehr konnte ich tun? Ich hatte gesagt, ich sei unerschüttert in meinem Glauben, ich hatte gesagt, ich sei unerschüttert in meinem Vertrauen. Ich wußte nicht, was mein Großvater bezweckte, was Gott ihm aufgetragen hatte, aber ich wußte, daß es heilig und gesegnet sein mußte, und wenigstens – zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich überhaupt daran dachte – wußte ich, daß es nicht sein konnte, was die verderbtesten Lüstlinge sich vielleicht vorstellen mochten, denn das wurde durch die Orthographie untersagt.
»Natürlich«, sagte ich. Ich zog meine Jacke aus und legte sie gefaltet zu meinen Füßen aufs Bett. Ich machte mich daran, mein Hemd aufzuknöpfen. Großvater holte tief Luft und blies eine weitere Reihe Kerzen aus, ohne mich anzusehen, während ich mein Hemd auszog und dann den Knopf und den Reißverschluß meiner Lederhose öffnete. Er löschte zwei letzte Kerzen. Es brannten jetzt nur noch ein halbes Dutzend entlang der Wände des gesamten großen Raums, so daß dort, wo zuvor weiches Licht gewesen war, nun Schatten regierte, und dort, wo Schatten gewesen war, jetzt Dunkelheit herrschte.
Mein Mund war trocken, als ich aus meiner Hose stieg und sie zu meinem Hemd und meiner Jacke legte. Großvater stand mit dem Rücken zu mir vor dem riesigen Kissenberg. Er überkreuzte die Arme, griff hinunter zu seiner Taille und zog sich mit einem Grunzen und einem leichten Taumeln seine Robe über den Kopf. Darunter war er gänzlich nackt. Ich hatte meine Strümpfe ausgezogen und trug nun nur noch meinen Schlüpfer. Von hinten gesehen war der Körper meines Großvaters massig und fest; nicht so fett und weich, wie ich gedacht hatte. Sicher, es war die Taille eines alten Mannes, nach außen gewölbt, nicht schmal, aber sein Kreuz besaß eine stiergleiche Flachheit, derer sich wohl nicht viele Männer seines Alters rühmen können. »Wir müssen ganz nackt sein«, sagte er leise, noch immer mit dem Rücken zu mir, so daß er mit der Wand sprach.
Ich fühlte, wie mein Herz zu hämmern begann. Meine Hände zitterten, als ich meine Unterwäsche auszog.
Er blickte nach oben, so als würde er die verzierte Stuckdecke des Zimmers studieren.
»Die Wege des Schöpfers sind mannigfaltig und unergründlich«, erklärte er, als würde er mit dem Bord sprechen. »Wir stellen in Frage, wir denken, und wir stellen unsere Gedanken in Frage, immer auf der Suche danach, was richtig ist, was wahr ist und was falsch ist, was von oben eingegeben wurde und was von innen kommt.« Ich
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