Die Auserwählte
ich und unterdrückte gleichzeitig ein Lachen und ein Husten.
»Ach«, sagte sie seufzend und schüttelte den Kopf, »du kannst es dir gar nicht vorstellen.« Sie griff herüber und hielt abermals meine Hand, tätschelte sie geistesabwesend, während sie mich anlächelte.
Ich saß da, sah sie an und war halb hysterisch von all den Dingen, die sie mir erzählt hatte; am liebsten hätte ich in meiner Verzweiflung ein wildes Wutgeheul ausgestoßen ob des Wahnsinns der Welt und wäre gleichzeitig aus genau demselben Grund in schallendes Gelächter ausgebrochen.
Was sollte ich tun? Was von alldem, das ich herausgefunden hatte, hatte tatsächlich eine Bedeutung? Ich versuchte nachzudenken, während Zhobelia blinzelnd dasaß, mich anlächelte und meine Hand tätschelte.
»Großtante«, sagte ich schließlich und legte meine freie Hand auf die ihre. »Würdest du gern zurückkommen?«
»Zurück?«
»Zurück mit mir, zur Gemeinde, zum Hof, nach High Easter Offerance. Um dort zu bleiben; um bei uns zu leben.«
»Aber ihr Geist!« erwiderte sie hastig mit weitaufgerissenen Augen. Dann runzelte sie die Stirn und wandte den Blick ab. »Obwohl du kein Geist warst«, murmelte sie. »Vielleicht würde es jetzt gehen. Ich weiß nicht…«
»Ich bin sicher, daß es jetzt gehen würde«, sagte ich. »Ich denke, du gehörst zu uns, in die Gemeinde.«
»Aber wenn es nicht geht? Du warst kein Geist, aber was ist, wenn sie einer ist?«
»Ich bin sicher, daß sie kein Geist ist. Versuch es doch mal, Großtante«, sagte ich. »Komm für ein, zwei Wochen zurück und schau, wie es dir gefällt. Wenn es dir nicht gefällt, kannst du immer noch hierher zurückkehren oder in ein Pflegeheim in der Nähe der Gemeinde gehen.«
»Aber ich brauche Pflege und Betreuung, mein Kind.«
»Wir werden uns um dich kümmern«, versicherte ich ihr. »Ich hoffe, daß ich auch bald wieder zurückkehren kann; ich werde mich um dich kümmern.«
Sie schien zu überlegen. »Kein Fernsehen?« fragte sie.
»Leider nein«, gestand ich.
»Hmm. Egal«, erwiderte sie. »Ist sowieso alles dasselbe. Man verliert ganz den Überblick.« Sie starrte mich einen Moment lang geistesabwesend an. »Bist du sicher, daß sie mich überhaupt wiedersehen wollen?«
»Alle wollen das«, erklärte ich und war überzeugt, daß es tatsächlich so wäre.
Sie starrte mich an. »Das hier ist kein Traum, oder?«
Ich schmunzelte. »Nein, es ist kein Traum, und ich bin kein Geist.«
»Gut. Ich würde mir gar nicht gefallen, wenn dies ein Traum wäre, denn dann müßte ich aufwachen.« Sie gähnte. Ich konnte ebenfalls ein Gähnen nicht unterdrücken.
»Du bist müde, mein Kind«, sagte sie und tätschelte meine Hände. »Du schläfst hier. So machen wir’s.« Sie schaute zu dem anderen Bett. »Da; du nimmst das andere Bett. Du bleibst doch, oder?«
Ich schaute mich um und überlegte, wo ich meine Hängematte festmachen könnte. Das Zimmer sah nicht gerade vielversprechend aus. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich war so müde, daß ich auf dem Fußboden hätte schlafen können und es höchstwahrscheinlich sogar tun würde.
»Würde es denn gehen, wenn ich bliebe?« fragte ich.
»Natürlich«, erklärte sie. »Du schläfst hier.«
*
Und so schlief ich in Großtante Zhobelias Zimmer. Ich konnte nichts entdecken, woran ich meine Hängematte hätte festmachen können, also baute ich mir mit den Decken und Kissen vom zweiten Bett ein kleines Nest auf dem Fußboden und legte mich dort zur Ruh, zwischen Zhobelia und dem leeren Bett.
Meine Großtante wünschte mir eine gute Nacht und knipste das Licht aus. Es war ganz leicht einzuschlafen. Ich glaube, mein Verstand hatte mittlerweile aufgehört, sich zu drehen; er war wieder in einen Schockzustand verfallen. Das letzte, an das ich mich erinnere, war, wie meine Großtante leise vor sich hin flüsterte: »Die kleine Isis. Wer hätte das gedacht?«
Dann versank ich in Schlaf.
*
Ich wurde vom Zuschlagen von Türen und dem Klappern von Teetassen geweckt. Tageslicht säumte die Vorhänge. Mein leerer Magen knurrte mich an. Mir war schwindelig. Ich drehte mich steif herum und schaute zu Großtante Zhobelia hoch, die mich von ihrem Bett herunter zärtlich anlächelte.
»Guten Morgen«, sagte sie. »Du bist immer noch da.«
»Guten Morgen, Großtante«, krächzte ich. »Ja, immer noch hier, immer noch kein Traum oder Geist.«
»Ich bin so froh.« Es klapperte und schepperte im Flur vor ihrer Tür. »Du solltest besser bald
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