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Die Auserwählte

Die Auserwählte

Titel: Die Auserwählte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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einen Stuhl fallen, als wäre er gerannt. »Nein, der ganze Scheiß ist privatisiert worden, Mann.«
    »Was? Die Army?«
    »Nein, die Akten. Alle Unterlagen und Karteien der militärischen Streitkräfte. Früher war mal ein Amt dafür zuständig, aber jetzt ist es ein Laden namens ›Force Facts plc‹, und man muß für jede Anfrage blechen, und übers Wochenende haben sie dicht. Zum Brüllen, was? Klasse.« Er schüttelte den Kopf. »Wie läuft’s bei dir?«
    »Bis jetzt hab ich noch nichts gefunden. Ich bin mit dem Scotsman durch und wollte gerade mit dem Glasgow Herald anfangen. Wenn du die rechte Seite des Bildschirms übernehmen könntest, während ich die linke Seite lese, dann würden wir um einiges schneller vorankommen«, erklärte ich ihm und machte Platz für seinen Stuhl.
    Er rutschte neben mich und schaute schmachtend auf die Uhr. »Die Jungs machen jetzt sicher schon einen drauf«, bemerkte er leise.
    »Topec. Diese Sache ist wichtig«, sagte ich. »Wenn du der Ansicht bist, du könntest dieser Aufgabe nicht deine ganze Aufmerksamkeit widmen, dann sag es und verschwinde, um mit deinen Kumpeln zu spielen.«
    »Nein, nein«, beschwichtigte er mich eilig; er schob sich das Haar hinters Ohr, beugte sich vor und starrte angestrengt auf den Bildschirm.
    Ich nahm den letzten Scotsman-Mikrofiche vom Glasträger und legte den ersten Glasgow Herald-Mikrofiche ein. Topec starrte weiter auf den Schirm. »Is?«
    »Was?«
    »Wonach soll ich eigentlich suchen?«
    »Nach Schiffsunglücken.«
    »Nach Schiffsunglücken?«
    »Nun, vielleicht nicht direkt nach Schiffsunglücken«, sagte ich, denn mir fiel ein, daß Zhobelia erzählt hatte, es hätte zu der Zeit keine Schiffsunglücke gegeben. »Aber etwas in der Richtung von Schiffsunglücken.«
    Topec schnitt eine Grimasse und blickte zur Decke. »Okay. Cool. Sonst noch was?«
    »Ja. Alles, bei dem es bei dir klingelt.«
    »Häh?«
    »Alles, was dir bekannt vorkommt. Alles, was klingt, als könnte es eine Verbindung mit unserer Gemeinschaft haben.«
    Er sah mich an. »Willst du damit sagen, daß du keine Ahnung hast, wonach wir eigentlich suchen?«
    »Nicht genau«, gestand ich und ließ den Blick über meine Hälfte des Schirms schweifen. »Wenn ich genau wüßte, wonach ich suche, dann müßte ich ja nicht mehr danach suchen, oder?«
    »Klar«, erwiderte er. »… Also soll ich ganz aufmerksam nach etwas suchen, aber ich weiß nicht, wonach ich suche, nur daß es irgend etwas wie ein Schiffsunglück sein könnte, ist das so richtig?«
    »Ja genau.«
    Aus dem Augenwinkel sah ich, daß Topec mich weiter musterte. Ich erwartete fast, daß er aufstehen und einfach weggehen würde, aber statt dessen wandte er sich wieder dem Bildschirm zu und zog seinen Stuhl dichter heran. »Mann«, kicherte er. »Das ist wie Zen!«
    Eine Stunde verstrich. Topec schwor, er wäre ganz bei der Sache, aber er behauptete immer, gleichzeitig mit mir mit einer Seite fertig zu sein, und ich weiß, daß ich wirklich sehr schnell lese. Doch ich hatte im stillen überschlagen, daß wir schon großes Glück haben müßten, um bis zur Schließung der Bibliothek alle Zeitungsausgaben für den September 1948 zu schaffen, und so blieb mir keine andere Wahl, als seinem Wort zu vertrauen. Nach der ersten Stunde begann Topec, vor sich hin zu summen und zu pfeifen und leise zischelnde Laute mit der Zunge, den Lippen und den Zähnen zu fabrizieren.
    Ich vermutete, daß es sich dabei um Jazz handelte.
    Die nächste Stunde zog sich wie ein Kaugummi.
    Ich versuchte mit aller Macht, mich zu konzentrieren, aber gelegentlich schweiften meine Gedanken von meiner Aufgabe ab, und ich fing an, noch einmal die vergangene Nacht zu durchleben, als Zhobelia mir in ihrer lapidaren Art erzählt hatte, daß ich das, was ich für ein persönliches Wunder – ein gesegnetes Leiden, ein weiteres gesalbtes Stigma – gehalten hatte, tatsächlich mit Generationen meiner weiblichen Vorfahren teilte. Gab das den Empfindungen, die in mir erwachten, wenn mich die heilende Energie durchströmte, in irgendeiner Weise mehr Sinn? Ich hatte keine Ahnung. Es stellte meine Visionen in einen gewissen Zusammenhang, gab ihnen einen Rahmen, aber es nahm der Erfahrung nichts von ihrem Geheimnis. Hatte es irgendeine Bedeutung, daß Gott Wunder gerade in dieser Weise befahl? Ich konnte das Gefühl nicht loswerden, wenn Salvador eine Sache richtig begriffen hatte, dann die, daß wir noch außerstande sind zu verstehen, welche Absichten Gott mit uns

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