Die Auserwählte
hatte.
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Die Saat unserer Sekte wurde in einer sturmgepeitschten Nacht an den Gestaden der Insel Harris, in den Äußeren Hebriden, ausgesät.
Es war die letzte Stunde des letzten Tages im September 1948, und im ersten gewaltigen Unwetter des Herbstes trieben die Atlantikwinde die Wogen des Ozeans in pechschwarzen, gischtgekrönten Brechern gegen die zerklüftete Küste; Regen und Salzwasser vermengten sich in der Dunkelheit des Unwetters und überfluteten die Küste, trugen den Geschmack der See meilenweit ins Landesinnere, noch weiter als den hohlen Donnerhall der Wellen, die sich gegen die Felsen und auf den Strand warfen.
Zwei verängstigte Asiatinnen hockten dicht zusammengekauert über einer einzelnen Duftkerze in einem alten Lieferwagen in den Dünen hinter einem langgestreckten, dunklen Strand und lauschten auf das Donnern der Wellen und das Heulen des Windes und das Prasseln des Regens auf dem Holz und dem Segeltuchdach des uralten Fahrzeugs, das bei jedem wütenden Windstoß auf seiner Federung schaukelte und knarrte und jeden Moment in den Sand umzukippen drohte.
Die beiden Frauen waren Schwestern; ihre Namen waren Aasni und Zhobelia Asis, und sie waren Ausgestoßene, Flüchtlinge. Sie waren Khalmakistanis, Töchter der ersten Familie von Asiaten, die auf den Hebriden gesiedelt hatten. Ihre Familie hatte ihren Lebensunterhalt gefristet, indem sie mit einem fahrenden Krämerladen von Dorf zu Dorf zog, und war überraschend gut aufgenommen worden an diesem Ort, an dem das Wäscheaufhängen an einem Sonntag noch immer als Gotteslästerung gilt.
Khalmakistan ist eine Bergregion in den südlichen Ausläufern des Himalaya, auf die derzeit sowohl Indien als auch Pakistan Anspruch erheben; darin gleicht es Kashmir, obschon die Bewohner der beiden Kleinstaaten ansonsten wenig gemein haben außer gegenseitiger Verachtung. Aasni und Zhobelia waren die ersten aus der zweiten Generation ihrer Familie, und die allgemeine Ansicht war, daß die glitzernden Lichter von Stornoway ihnen die Köpfe verdreht hatten; jedenfalls empfand man sie als zu dickköpfig und westlich für ihr eigenes Wohl oder das der Familie. Hätte die Familie schnell genug gehandelt, hätten sie die beiden Mädchen vielleicht erfolgreich an eilig vom Subkontinent herbeigeholte Ehewillige verheiraten können, bevor die beiden sich zu sehr daran gewöhnten, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, aber leider war der Zweite Weltkrieg dazwischen gekommen, und es vergingen fast sieben Jahre, bevor eine Lockerung der Reise- und Rationierungsbeschränkungen günstige Bedingungen schufen, um eine Ehe zu arrangieren. Inzwischen war es zu spät.
Es wurde bestimmt, daß die beiden Schwestern zwei Brüdern einer mit den Eltern befreundeten Familie als Bräute angeboten werden sollten; natürlich waren die betreffenden Brüder schon etwas betagt, aber ihre Familie war wohlhabend, bekanntermaßen mit einem langen Leben gesegnet, und insbesondere die männlichen Mitglieder waren berühmt dafür, noch bis weit in den Herbst ihres Lebens hinein fruchtbar zu sein. Außerdem, so erklärte ihnen ihr Vater, wäre er überzeugt, daß die beiden Mädchen wohl selbst als erste eingestehen würden, daß sie eine starke Hand bräuchten – und sei sie auch faltig und ein wenig zittrig.
Vielleicht angesteckt vom Geist der Unabhängigkeit, der im heimatlichen Raj loderte, und der allgemeinen Stimmung weiblicher Emanzipation, die der Krieg heraufbeschworen hatte, indem er Frauen Arbeit in den Fabriken, Uniformen, Berufe und eine gewisse Kontrolle über die Wirtschaft gab – oder vielleicht auch schlicht und einfach, weil sie im Stornoway-Alhambra einen Propagandafilm über glückliche sowjetische Kranführerinnen zuviel gesehen hatten –, weigerten sich die Schwestern strikt, was schließlich zum Ergebnis hatte, daß sie einen außergewöhnlichen Schritt wagten – sowohl in den Augen ihrer ursprünglichen Kultur als auch jener, von der sie jetzt Teil waren –, sich gänzlich von ihrer Familie lossagten und zu ihr in Konkurrenz traten.
Sie besaßen einige Ersparnisse und liehen sich zusätzliches Geld von einem befreundeten freidenkenden Bauern, der selbst so etwas wie ein Außenseiter in jenem Land der renitenten schottischen Staatskirche war. Sie kauften einen alten Lieferwagen, der als mobile Bibliothek auf den Inseln gedient hatte, und einige Waren; sie verkauften Schinken, Schmalz und Rindfleisch, die ihre Familie nicht anrührten, und einige Monate lang
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