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Die Auserwählte

Die Auserwählte

Titel: Die Auserwählte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Luxus weicher Polster anheimzufallen –, aber meine Mission war so bedeutsam, daß ich sehr strikt in der Befolgung der Gebote sein mußte, und es war zu verlockend, einfach schlichtweg nur ohne Fahrkarte in einem gewöhnlichen Fahrgastzug mitzureisen.
    Ich kehrte nach Morningside zurück, wobei ich so viele Umwege benutzte wie möglich, darunter ein Gäßchen, oder eher ein Fußpfad, mit dem anheimelnden Namen Lover’s Lane. Auf dem Weg begegnete ich mehreren Wagen mit Aufklebern an den Heckscheiben, auf denen »Surfer machen’s auf dem Brett« stand, und wurde, nunmehr eher mit Erheiterung denn Verlegenheit, an meinen ersten Besuch in Edinburgh drei Jahre zuvor erinnert, als ich Schwester Jess gegenüber – die bei jener Reise eine meiner Begleiterinnen war – stolz verkündet hatte, daß unsere Gemeinschaft, nach der Anzahl von Hobbysportlern zu urteilen, die sich derart öffentlich zur Benutzung von Sitzbrettern bekannten, wohl recht viele Anhänger in dieser Stadt haben mußte.
    Als ich an jenem Nachmittag im Hause der Possils den Tee nahm, hörte ich in der Ferne das Donnern einer Diesellokomotive und wurde an den Zug erinnert, dem ich am Abend zuvor begegnet war, als ich am nahe gelegenen Bahndamm entlangmarschierte. Anschließend ging ich noch einmal aus und wanderte umher, während ich versuchte, mich darauf zu besinnen, wie die Autos, die ich bei dieser Gelegenheit auf dem Güterzug gesehen hatte, ausgesehen hatten. Glücklicherweise verfüge ich über ein gutes Gedächtnis, und die Autos gehörten – wie sich herausstellte – zu einer weit verbreiteten Marke. Ich ging zum nächstgelegenen Autohändler und erkundigte mich, wo Ford Escorts gebaut wurden, dann verbrachte ich etliche Zeit in der Gegend um die Kreuzung Morningside Road und Comiston Road und beobachtete die Güterzüge. Die Züge kamen von Westen durch den stillgelegten Bahnhof direkt neben der Brücke mit der Straßenkreuzung oder durch den flachen, baumgesäumten Durchstich im Osten, eben jenen Bahndamm, dem ich am Abend zuvor zu Gertie Possils Haus gefolgt war. Es kamen nur wenige Züge und auch diese nur in großen Abständen, was es leicht machte, sich mit Hilfe der Turmuhr nahe der Kreuzung die Zeiten zu merken, doch bald begann ich mir Sorgen zu machen, daß ich Aufmerksamkeit erregen könnte, und so kehrte ich zum Haus der Possils zurück und borgte mir ein Holztablett, ein längeres Stück Tapete, das ich in tablettgroße Rechtecke riß, und den dicken schwarzen Wachsmalstift, mit dem Gertie sonst die Bestellungen für den Milchmann aufschrieb; anschließend kehrte ich zur Kreuzung und dem Bahndamm zurück und fertigte eine Reihe von Skizzen der Gebäude, während ich auf die Züge wartete. Ich war erleichtert, als ich einen mit Autos beladenen Zug sah, der ungefähr zu der Zeit, zu der ich mich tags zuvor vor einem ebensolchen versteckt hatte, Richtung Westen vorbeifuhr.
    Ich vermochte zwar keine Regelmäßigkeit im Zugverkehr von Stunde zu Stunde erkennen, aber ich hatte mir einen Plan überlegt, der funktionieren konnte, so der Fahrplan von Tag zu Tag gleich blieb, und so kehrte ich zum Haus von Gertie Possil und einem weiteren festlichen Abendessen zurück, dem ein Gebetsgottesdienst folgte, den ich ganz im Sinne meines Großvaters abhielt, wie ich hoffe. Der Gottesdienst verlief recht befriedigend, denke ich (trotz der Tatsache, daß Lucius auch nicht über die geringste Musikalität verfügt und, was das Singen in Zungen anbelangt, gerade mal darin murmeln kann).
    Nachdem ich eingehender über meinen Plan nachgedacht hatte, war ich zu dem Schluß gekommen, daß er das Manko besaß, bei Tageslicht oder selbst in der Dämmerung nur schwer durchführbar zu sein, und so ging ich nochmals zu der Straßenkreuzung zurück und wurde mit dem Anblick eines Zuges belohnt, der perfekt für meine Zwecke geeignet war.
    *
    In der folgenden Nacht kauerte ich in den Büschen auf dem ehemaligen Bahnsteig des Morningside-Bahnhofes, die Jacke zugeknöpft, so daß keine Spur meines weißen Hemdes hervorlugte, den Hut aufgesetzt, so daß mein Gesicht im Schatten lag, und den Seesack hinter mir versteckt. Ein leichter Nieselregen fiel aus Wolken, die der Lichterschein der Stadt schmutzig-orange färbte. Ich wurde naß. Über und hinter mir donnerte und zischte der spätabendliche Verkehr über die Straßenkreuzung, an der ich tags zuvor so viel Zeit zugebracht hatte. Ich schätzte, daß ich bereits ungefähr eine halbe Stunde gewartet hatte, und

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