Die Auserwählte
lachend und stieg flugs in das Auto.
Kurz darauf ruckte der Zug einige Male scharf, dann setzte er sich wieder in Bewegung, wurde immer schneller und trug mich aus Edinburgh fort, Richtung Süden.
Kapitel
Sechs
Am Tag nach dem schweren Unwetter säuberten Aasni und Zhobelia meinen Großvater vom Tee und vom Schmalz und brachten ihn zum Hof von Mr. Eoin McIlone, dem Freidenker, der den Schwestern schon bei früheren Gelegenheiten Unterkunft geboten hatte. Diesmal gewährte er auch ihrem vom Sturm gebrachten Findelkind Beistand und Hilfe und richtete ihm ein Bett in seiner Abstellkammer, wie er es nannte, obgleich es sich dabei eher um ein Arbeitszimmer oder gar eine Bibliothek handelte; die Wände wurden von nicht zusammenpassenden Bücherschränken und wackeligen Regalen gesäumt, die an die Holzwände genagelt worden waren, und auf den Borden türmte und stapelte sich Mr. McIlones beachtliche Sammlung an Büchern über Philosophie, Politik und Theologie.
Den größten Teil der nächsten Tage dämmerte mein Großvater in einem Zustand irgendwo zwischen Fieberschlaf und Koma dahin, stöhnte und murmelte wirres, unzusammenhängendes Zeug. Der Dorfarzt war gerufen worden und hatte erklärt, Großvater wäre zu krank für einen Transport. Er hatte meinem Großvater den Zhlonjiz-Umschlag abgenommen und ihm einen richtigen Kopfverband angelegt, den Aasni noch in dem Moment, als sie das Auto des Arztes wieder wegfahren hörte, abnahm und durch einen neuen Umschlag ersetzte. Es dauerte etliche Tage, bis Großvaters Zustand sich endlich besserte. Der Name von Mr. McIlones Farm war Luskentyre.
Als mein Großvater schließlich wieder gänzlich bei Bewußtsein und klar war und sich im Bett in seinem vom Büchern gesäumten Zimmer aufsetzte und nach seinem Namen gefragt wurde, erzählte er seinen beiden dunkelhäutigen Retterinnen, daß er wiedergeboren worden und daher namenlos sei. Als er hörte, daß er in der ersten Nacht den Namen »Salvador« gemurmelt hätte, meinte er, daß dies ein Zeichen Gottes sei, diesen Namen anzunehmen, und bat seine Retterinnen, ihn fortan so zu nennen.
Dann erzählte er den Schwestern von einer Segeltuchtasche, die er besessen hatte und die das einzige sei, das er von seinem vergangenen Leben behalten wolle. Diese Segeltuchtasche war ihm sehr wichtig, was schon durch die Tatsache bewiesen wurde, daß er, obwohl er sich an nichts sonst von dem Tag des Unwetters erinnerte, noch immer wußte, daß er die Segeltuchtasche bei sich getragen hatte und daß sich alles, was ihm wert und teuer war, darin befand. Er flehte Aasni und Zhobelia an, den Strand und die Felsen um die Stelle herum, wo man ihn gefunden hatte, nach der Tasche abzusuchen und sie ihm ungeöffnet zu bringen, sollten sie sie finden.
Und so machten sie sich auf die Suche, während mein Großvater langsam genas – und so manche Stunde mit Mr. McIlone über seine Offenbarung sprach. Mr. McIlone war Atheist, aber er war dennoch fasziniert von der spirituellen Erfahrung meines Großvaters, auch wenn er sie der Nähe zum Tode, dem hohen Blutverlust und der möglichen Wirkung der fremden Kräuter, Wirkstoffe und Heilmittel in dem Zhlonjiz-Umschlag zuschrieb.
Mr. McIlone schlug vor, daß mein Großvater sich der Bücher auf den Regalen um ihn herum bedienen sollte, wenn er eingehender über seine vermeintlich religiöse Erfahrung nachdenken wollte, und das tat Salvador denn auch, obgleich zuerst nur zögernd.
Die Schwestern kehrten zur Farm zurück, um zu vermelden, daß sie viele Dinge gefunden hätten, die an der Küste angespült worden waren, aber daß leider keine Segeltuchtasche darunter sei. Bevor er wirklich wieder bei Kräften war, verließ Salvador sein Krankenlager, um sich an ihrer Suche zu beteiligen, und zu dritt erkundeten sie die Strände, Buchten und Sandbänke des Küstenstrichs. Während sie suchten, erläuterte mein Großvater mit wachsender Inbrunst und Überzeugung und in immer größeren Einzelheiten seine Offenbarungen. Was die Schwestern mit ihren begrenzten Englischkenntnissen und ihrem gänzlich anderen kulturellen und religiösen Hintergrund davon verstanden, fanden sie sowohl beeindruckend als auch interessant.
Mr. McIlone lieh Salvador ein altes Armee-Zelt, und dieses baute mein Großvater in den Ruinen einer alten Seetang-Verarbeitungsfabrik auf, eine Meile die Küste hinauf und nicht weit von der Stelle entfernt, wo er an Land gespült worden war. Die baufällige Seetang-Fabrik war vor dem
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