Die Auserwählte
fünfzehn war.
Das Deivoxiphon stammte aus alten Armeebeständen und befand sich schon auf dem Hof, bevor die Gemeinde sich dort niederließ; Mrs. Woodbean – die Dame, von der wir das Anwesen als Schenkung erhalten hatten – hatte einen Bruder gehabt, der außergewöhnliche Fahrzeuge und Ausrüstungsgegenstände sammelte und auf dem Hof verwahrte (er kam bei einem Treffen mit gleichgesinnten Sammlern in Pertshire ums Leben, als der Jeep, den er fuhr, sich zu überschwenglich überschlug). Zu seinen Sammlerstücken gehörte unter anderem ein bizarr aussehendes Gerät auf einem Wohnwagen, das kurzzeitig während der deutschen Fliegerangriffe zu Beginn des Zweiten Weltkriegs zum Einsatz gekommen war. Das Gerät bestand augenscheinlich aus einer Anzahl überdimensionaler, altmodischer Hörrohre. In diesem Fall trog der äußere Schein nicht, denn genau darum handelte es sich bei jenem Apparat: Es war ein gigantisches Ohr, das in den Himmel lauschte und versuchte, die deutschen Bomber auszumachen, bevor sie am Himmel auftauchten. Mit anderen Worten, eine Art Radar für Arme, und nach dem wenigen zu urteilen, was ich betreffs seiner Effektivität gehört hatte, etwa so brauchbar, wie man es sich wohl ausmalen kann.
Als ich neun war, glaubte ich, jenes Stück Schrott wäre die wunderbarste Maschine auf Gottes weiter Erde, und setzte mir irgendwie in den Kopf, das Ding müßte von der Koppel, auf der es langsam unter wucherndem Unkraut und Gestrüpp verschwand, gerettet und irgendwo anders aufgestellt werden. Mein Großvater hatte so seine Zweifel, da er fürchtete, der Apparat würde eine zu starke Aura von Störgeräuschen besitzen, aber er konnte mir nun einmal nichts abschlagen, und so ließ er das Ding vom Wohnwagen abmontieren und auf eine hölzerne Plattform setzen, die eigens dafür auf dem Dach des alten runden Kornspeichers hinten auf den Hof gebaut worden war. Großvater nannte es das Deivoxiphon.
Ich glaubte natürlich nicht daran, daß wir mit Hilfe dieses außergewöhnlichen Apparats tatsächlich Gottes Stimme besser empfangen würden, aber ich fand, es könne als eindringliches und bedeutendes Symbol unserer Ideale dienen (ich hatte in jenem Alter eine sehr ernste Phase und konnte mich sehr für Dinge und Anekdoten mit Symbolcharakter begeistern).
Natürlich verlor ich jegliches Interesse an dem Apparat, nachdem er erst einmal in seiner erhabenen Position angebracht worden war, aber da war er nun, hockte auf seiner achteckigen hölzernen Plattform am Südende des Hofgeländes und zielte in den Himmel wie eine olivfarbene, vielläufige Donnerbüchse. Es gab genügend Platz auf der Plattform darum herum, daß man dort ein Sonnenbad nehmen oder einfach nur sitzen und auf die Gärten, Wälder und entfernten Hügel schauen konnte, und dort hatte ich vor vier Jahren gesessen, die Beine über den Rand der Plattform baumeln lassen und mich mit Morag unterhalten.
»Pendicles of Collymoon«, sagte sie.
»Was?«
»Pendicles of Collymoon«, wiederholte sie. »Das ist ein Ort. Ich habe ihn auf der Landkarte entdeckt.«
»Oh, Collymoon«, sagte ich und erinnerte mich an den Namen. »Ja, oben nahe Buchlyvie.« Buchlyvie war ein winziges Dorf etwa ein Dutzend Meilen westlich der Gemeinde, südlich von Schottlands einzigem See, dem Lake of Menteith. Dazwischen liegt Collymoon, eine Ansammlung von Häusern am Nordufer des Forth’ östlich von Flander Moss. Ich hatte den Namen ebenfalls auf einer Karte gesehen und war zwei Jahre zuvor auf einem meiner ausgedehnten Spaziergänge schon einmal an dem Dorf vorbeigekommen. Es war ein ganz ansprechendes Fleckchen, aber nichts Besonderes.
Morag lehnte sich im Sonnenschein zurück und blickte zum Himmel auf, oder vielleicht auch zu den lächerlichen Trompeten des Deivoxiphons. »Findest du nicht auch, daß der Name einfach toll ist? Findest du nicht auch, daß es der romantischste Name ist, den du je gehört hast?« (Ich zuckte die Achseln.) »Für mich ja«, erklärte sie und nickte nachdrücklich. »Pendicles of Collymoon«, sagte sie noch einmal und ließ sich die Worte dabei genüßlich auf der Zunge zergehen. »Es klingt wie der Titel eines Liebesromans, findest du nicht auch?«
»Vermutlich ein hoffnungslos tränendrüsiger Kitschroman«, bemerkte ich.
»Oh, du bist so unromantisch«, gab Morag zurück und versetzte mir einen Klaps auf die Hüfte.
»Bin ich nicht«, protestierte ich verlegen. »Ich habe nur ein anderes Verständnis von… Romantik, mehr nicht.«
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