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Die Auserwählte

Die Auserwählte

Titel: Die Auserwählte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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uns ja auch noch ins Haus.«
    »Das kann man wohl sagen«, erwiderte ich unglücklich und legte mich wieder hin.
    *
    Ich saß in dem plastikparfümierten Auto und schaute mir an, wie die gelben Lichter der Städte in der Ferne vorbeizogen; plötzlich kündigten grelle weiße Lichter, die durch die Waggons weiter vorn zuckten, einen entgegenkommenden Zug an. Ich duckte mich und machte mich ganz platt auf dem Rücksitz, während die Lokomotive vorbeidonnerte, dann setzte ich mich wieder auf, als der Zug auf den Gleisen Richtung Norden entschwand.
    Mir war einen Moment lang ganz schwindelig, als ich mich wieder aufsetzte, während die Erinnerung an die weißen Lichter, die durch die Seiten der Waggons vor mir flackerten, in meinem Kopf reflektiert und vervielfältigt zu werden schien, so als wäre mein Gehirn durchsichtig und mein Schädel ein Spiegel; mein Herz raste, und ich hatte einen metallischen Geschmack im Mund.
    Der Moment ging vorbei, und meine Gedanken kehrten wieder zu meiner Cousine Morag zurück, und mit einem Mal wurde mir bewußt, daß ich noch einen anderen Grund hatte, mir zu wünschen, Morag würde zu uns zurückkommen; wenn sie nicht zurückkam und unser Ehrengast beim Fest sein würde, dann würde man vielleicht von mir erwarten, daß ich ihren Platz ausfüllte (ganz zu schweigen davon, daß dann jemand meinen ausfüllen würde, wenn man es so ausdrücken möchte).
    Das war nicht gerade eine freudige Aussicht.
    Als wir uns der Grenze näherten, übermannte mich schließlich der Schlaf, und ich träumte von High Easter Offerance und unserer Gemeinde, und in meinem Traum war ich ein Geist, der über dem geschäftigen Treiben auf dem Hof schwebte und jeden, den ich kannte, beim Namen anrief, doch meine Rufe verhallten ungehört und unbeantwortet, wie die Rufe einer Ausgestoßenen.
    *
    Ich erwachte bei Morgendämmerung. Ich gähnte und reckte mich, dann spähte ich über den unteren Rand des Fensters. Der Zug ratterte durch eine feuchte, flache Landschaft, irgendwo in der Mitte von England, wie ich schätzte. Ich trank einen Schluck Wasser, dann schlummerte ich weiter. Später setzte ich mich auf und beguckte mir eine Weile die Aussicht, während ich ein leichtes Frühstück aus Käse-Sandwiches zu mir nahm und meinen Stadtplan von London studierte.
    Nördlich von Walthamstow stieg ich bei einem Haltesignal aus dem Zug, erklomm eine niedrige Böschung, verrichtete hinter einem Busch meine Notdurft, dann kletterte ich über eine niedrige Mauer neben einer Brücke und landete vor einer verdutzt aussehenden Inderin auf einer Straße. Ich tippte mir zum Gruß an den Hut und schlenderte davon, überaus zufrieden mit mir, auf so gottgefällige, doch relativ mühelose Weise nach London gelangt zu sein. Ich nahm es als ein gutes Omen, daß die erste Person, der ich hier im Süden begegnete, ebenfalls ein Mensch subkontinentaler Abstammung war.
    Es war früher Vormittag; halb neun, laut der Uhr in der Ecke einer Sendung, die auf zahllosen Bildschirmen im Schaufenster eines Fernsehgeschäfts lief. Zeit fürs Busspringen.
    Das Busspringen ist eine Methode der Reisekostenminimierung, die wir schon seit Jahrzehnten bei Bussen einsetzen und die gelegentlich auch bei anderen Transportmöglichkeiten Verwendung finden kann. Sie besteht darin, in einen Bus einzusteigen und den Schaffner – vorzugsweise mit einem schwer verständlichen ausländischen Akzent – um eine Fahrkarte zu einer Haltestelle in entgegengesetzter Richtung der bestiegenen Linie zu bitten. Nachdem man davon in Kenntnis gesetzt wurde, daß man in die falsche Richtung fährt, ist es zwingend erforderlich, zutiefst verwirrt und außerordentlich betroffen dreinzuschauen. Gewöhnlich (und gemeinhin, ohne daß man bezahlt hätte) wird einem dann erlaubt, an der nächsten Haltestelle auf der Strecke auszusteigen, von wo aus man dann das ganze Spiel wieder von vorne anfängt, bis man schließlich an seinem eigentlichen Ziel angelangt ist.
    Ich wartete an einer Bushaltestelle an der High Road, in Tottenham, wo, wie ich dem Stadtplan entnommen hatte, die Busse der Linien hielten, die ich brauchte. Meinen Seesack hatte ich mir über die Schulter geschlungen, mein Sitzbrett hielt ich in der Hand. Ich stieg in den ersten Bus ein, der hielt. Vorne hatte er Falttüren, und der Fahrer schien gleichzeitig auch als Schaffner zu fungieren; das traf mich doch recht unerwartet. Ich murmelte etwas Unverständliches und stieg errötend wieder aus. Die nächsten Busse, die

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