Die Auserwählte
der South Bank nach Kilburn zurückgekehrt waren (eine Fahrt, die glücklicherweise kein Umsteigen unter verschiedenen Untergrundbahn-Linien verlangte). Ich hatte die Dachbodenleiter hochgezogen, die Dachbodenluke geschlossen und die Leiter darauf gelegt. Dann hatte ich mich bis auf meinen Schlüpfer ausgezogen, mich in Lotus-Position hingesetzt und eine Weile meditiert. Auf der einen Seite neben mir stand ein Becher Wasser, den ich aus dem Badezimmer mit nach oben gebracht hatte, auf der anderen eine parfümierte Kerze, in der Gemeinde hergestellt.
Ich kämpfte mit dem Verschluß des winzigen Glasgefäßes; als er sich schließlich endlich drehte, tat er dies mit einem hörbaren Knacken. Die durchdringend riechende, aromatische Salbe darunter schimmerte mattschwarz im Kerzenschein. Ich nahm ein kleines bißchen der zähen dunklen Creme auf meinen kleinen Finger und strich es mir auf die Stirn, hinter die Ohren und auf den Bauchnabel. Den Rest nahm ich in den Mund, kratzte ihn an der Rückseite meiner Zähne ab und schluckte dann eilig. Ich spülte es mit dem Becher Wasser herunter; die körnige schwarze Paste brannte mir auf der Zunge und am Gaumen, während sie mir die Kehle hinunterlief.
Ich hustete, meine Nase lief, und der scharfe Geruch der Salbe schien mich einzuhüllen, feurig und ätzend, das Aroma eines gebirgigen, halb mythischen Ostens. Ich schniefte und atmete tief durch, um mich ganz von dem wundertätigen Balsam durchdringen zu lassen, während ich mich entspannte, um meine Seele für die Stimme des Schöpfers zu öffnen, wobei ich versuchte, die riesige Stadt und ihre Millionen von gestörten, unerretteten Seelen zu ignorieren und dabei gleichzeitig ihre ungenutzte, unerkannte Fähigkeit zum Empfangen zu nutzen und damit Gottes Signale auf mich zu lenken.
Kurz gesagt, es funktionierte nicht. Ich wartete einen Augenblick und das Leben eines alten Gottes lang, ich wartete bis zum nächsten Herzschlag und zur nächsten Eiszeit, ich wartete auf den leisesten Hauch eines geflüsterten Worts und den markerschütternden Schrei Gottes, der nun endgültig die Geduld mit uns verlor; ich wartete lang genug, daß die Kerze flackernd erlosch, meine Beine einschliefen und meine Gliedmaßen von kribbelnder Gänsehaut überzogen waren.
Schließlich öffnete ich die Augen und starrte ins Dunkel, und meine Sinne nahmen einen fahlen Lichtschimmer um die Kanten der Dachbodenluke und ein entferntes Stimmengemurmel und den Geruch von Essen, der von unten heraufstieg, wahr. Ich senkte den Kopf und hätte am liebsten geweint, aber ich schalt mich für derartiges Selbstmitleid und sagte mir, daß – so es jemandes Schuld war – die Schuld allein bei mir lag und ich sie auf niemanden sonst abschieben könne. Ich schniefte nochmals herzhaft, erhob mich mit steifen Beinen und zog mich an, dann räumte ich auf und ließ die Holzleiter durch die geöffnete Dachbodenluke herunter.
»Was für eine Salbe?« fragte ich Declan.
»Weiß ich auch nicht«, erwiderte er und zündete eine dünne, selbstgerollte Zigarette an. »Irgendwelches Zeug. Sie hat es immer nur ›die Salbe‹ genannt und uns bei jeder Gelegenheit mit dem verdammten Zeug eingeschmiert; am schlimmsten war’s, wenn man Zahnschmerzen hatte; das Zeug hat gebrannt wie die Hölle; schlimmer als die Zahnschmerzen.«
»Ich fand, es roch nach Koriander«, bemerkte Roadkill, die gerade eine ihrer Drogenzigaretten drehte. Wir saßen alle – mit Ausnahme von Scarpa – im Wohnzimmer und hörten uns auf der Hifi-Anlage moderne CD-Musik an. Ich versuchte zu empfangen. Ich hatte, vielleicht unklugerweise, versucht, den anderen zu erklären, was ich auf dem Dachboden zu erreichen gesucht hatte; wahrscheinlich hätte ich das Zhlonjiz nicht erwähnen sollen. Bruder Zeb, der ebenfalls gerade mit dem Drehen einer »Tüte«, wie sie es nannten, beschäftigt war, schien mich zu ignorieren.
»Dec«, sagte Boz und streckte die Hand an mir vorbei, um Declan die Drogenzigarette anzubieten, die derweil herumgereicht wurde.
Dec schien zu zögern, und Boz bot die lange weiße Röhre statt dessen mir an. »He, Isis, Kleine, willste es mal mit dem heiligen Ganja versuchen?«
Ich betrachtete die Drogenzigarette. »Ich würde wahrscheinlich nur einen Hustenanfall bekommen«, erklärte ich ihm, obwohl ich es durchaus schon überlegt hatte. Unser Glaube hält nichts für falsch, nur weil die Seichten es dazu stempeln, und nach dem zu urteilen, was ich sowohl in der Schule als auch von
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