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Die Auserwählte

Die Auserwählte

Titel: Die Auserwählte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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mich auf mein Sitzbrett an; ich erklärte ihnen, ich hätte Rückenprobleme. Sie luden mich ein, in ihrem Haus in Kelston zu übernachten. Ich lehnte höflich ab, bat jedoch, einen Blick in ihren Straßenatlas werfen zu dürfen. Ich hängte meine Hängematte in einem Wald am Ortsrand auf. Während der Nacht regnete es; ich benutzte meinen Seesack als zusätzlichen Schutz, wurde aber trotzdem naß.
    Kurz nach Sonnenaufgang erwachte ich klamm und steif und fröstelnd und wusch mein Gesicht mit dem Tau, der an den Grashalmen hing, dann kletterte ich auf den erklimmbar wirkendsten hohen Baum, den ich entdecken konnte, teils zur Leibesertüchtigung und teils, um mich aufzuwärmen.
    Der Himmel über den Baumwipfeln war beunruhigend rot, aber dennoch wunderschön, und ich saß eine Weile eingekeilt zwischen den Ästen da, erfreute mich am Anblick der vorbeiziehenden Wolken, lauschte dem Gesang der Vögel und stimmte meinerseits einen Lobgesang auf Gott und Seine Schöpfung an, den ich lautlos in meinem Herzen sang.
    *
    Ich marschierte durch die Vororte von Bath zur A39, bis ich nach etwa einer Stunde, kurz hinter einem großen Straßenkreisel, abermals den Anhalterdaumen hochreckte. Es schien mehr Verkehr als am Vortag zu herrschen, doch erst als ich am Straßenrand stand und eine Erklärung dafür suchte, wurde mir mit einem Schlage bewußt, daß der heutige Tag ein Montag und gestern Sonntag gewesen war; ich schimpfte mich selbst eine Närrin, dies nicht schon tags zuvor erkannt zu haben. Es hatte keinen Einfluß auf meine Reise oder meine Suche nach Morag, aber es war dumm von mir gewesen, mich nicht zu fragen, warum so wenige der Leute, mit denen ich am Vortage mitgefahren war, gearbeitet hatten.
    Es ist für Luskentyrianer nicht ungewöhnlich, zu vergessen, welcher Tag gerade ist – wir richten uns nach den natürlichen Zyklen des Mondmonats und -jahres, nicht nach künstlichen Unterteilungen wie Wochen –, aber ich hatte angenommen, daß ich durch das Leben unter den Durchschnittlichen auch zwangsläufig ihre Lebensgewohnheiten übernehmen würde; ich vermute, das besetzte Haus in Kilburn war nicht unbedingt archetypisch seicht gewesen. Ich dachte wieder an zu Hause und all die Menschen dort. Ich hoffte, Mr. Warriston würde sich keine allzu großen Sorgen machen, wenn ich nicht kam, um die Flentrop zu spielen. Während die Autos auf ihrem Weg nach Bath an mir vorbeidonnerten, erging ich mich eine Weile lang in dem lieblichen, wehmütigen Gefühl des Selbstmitleids, malte mir vor meinem geistigen Auge aus, was die Menschen daheim in diesem Moment wohl gerade tun würden, und hoffte, daß einige von ihnen mich vermißten.
    Ich löste mich aus meiner wehmütigen Versenkung und konzentrierte mich darauf, positiv zu denken und freundlich und erwartungsvoll, aber nicht verführerisch auszusehen. Wenige Minuten später wurde ich von einem Bäcker auf dem Heimweg von einer Nachtschicht mitgenommen; ich marschierte zu Fuß von einem Dorf namens Hallatrow zu einem namens Farrington Gurney und erreichte Wells – dank eines auf dem Weg ins Büro befindlichen Pendlers –, bevor die Geschäfte aufmachten.
    Wells besitzt eine hübsche Kathedrale und schien ganz allgemein ein anheimelnder, heiliger Ort. Ich empfand es als angenehm passend, an diesem Morgen hierhergekommen zu sein, wenn ich zu Hause meinen Besuch in Dunblane machen würde, und so war ich versucht, zu verweilen und mich etwas umzuschauen, doch ich entschied mich schließlich, meine Reise unverzüglich fortzusetzen. Ein Verkehrspolizist erklärte mir den Weg zu Clissolds Gesundheitsfarm und Country Club, die keine zehn Meilen entfernt nahe dem Ort Dudgeon Magna lag. Ich setzte mich in westlicher Richtung in Marsch und reckte meinen Daumen hoch, sobald ich die kleine Ortschaft hinter mir gelassen hatte; keine Minute später hielt ein seltsam aussehender Lieferwagen, kaum zweihundert Meter hinter dem Schild mit der Aufhebung der Geschwindigkeitsbegrenzung.
    Die Karosserie des Lieferwagens schien auf den ersten Blick aus Backsteinen zu bestehen. Die Hecktür öffnete sich und gab den Blick frei auf eine Gruppe bunt gekleideter junger Leute, die auf Schlafsäcken, Rucksäcken und Deckenrollen hockten.
    »Unterwegs zum Konzert?« rief einer von ihnen.
    »Nein, zu einem Ort namens Dudgeon Magna«, erwiderte ich. Die jungen Leute tuschelten untereinander. Schließlich sah jemand vorne im Wagen auf einer Karte nach, und es wurde die Botschaft zu mir nach hinten

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