Die Auserwählten - In der Brandwüste (German Edition)
und kühl. Aber er sah beim besten Willen nichts, was darauf hindeutete, dass dort überhaupt etwas Festes stand.
Fassungslos tastete Thomas sich erst nach links, dann nach rechts an der unsichtbaren, aber sehr soliden Wand entlang. Sie reichte quer durch den ganzen Raum, und es gab nirgendwo eine Möglichkeit, sich dem Fremden am Schreibtisch zu nähern. Schließlich hämmerte Thomas dagegen, was dumpfe Schläge ertönen ließ, sonst nichts. Ein paar der Jungs hinter ihm, auch Aris, riefen ihm zu, dass sie das auch schon versucht hätten.
Der seltsam gekleidete Mann wenige Schritte vor ihm stieß einen übertrieben genervten Seufzer aus und ließ die übereinandergeschlagenen Füße vom Schreibtisch auf den Boden fallen. Ohne seine Verärgerung zu verbergen, legte er den Finger als Lesezeichen ins Buch, blickte auf und sah Thomas direkt an.
»Wie oft muss ich das noch wiederholen?«, sagte der Mann mit näselnder Stimme, die perfekt zu seiner bleichen Haut, den dünnen, fettigen Haaren und dem mageren Körper passte. Und diesem Anzug. Diesem spießigen weißen Anzug. Seltsamerweise klangen seine Worte überhaupt nicht gedämpft. »Bis wir zur Implementierung von Phase zwei der Tests kommen, haben wir noch siebenundvierzig Minuten Zeit. Übe dich bitte in Geduld und lass mich bis dahin in Ruhe lesen. Euch ist diese Zeit zugestanden worden, um zu essen und wieder zu Kräften zu kommen. Ich würde dir empfehlen, diese Zeit zu nutzen, junger Mann. Wenn du mich also so lange entschuldigen würdest …«
Ohne eine Reaktion abzuwarten, lehnte er sich auf dem Stuhl zurück und legte die Füße auf den Schreibtisch. Er klappte das Buch wieder an der Stelle auf, die er mit dem Finger markiert hatte, und las weiter.
Thomas war im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos. Er wandte sich von dem Mann und seinem Schreibtisch ab und lehnte sich gegen die unsichtbare Wand, die sich hart und kalt an seinem Rücken anfühlte. Was war denn das gerade gewesen? Er musste noch schlafen, es musste ein Traum sein. Aus irgendeinem Grund meldete sich sein Hunger bei diesem Gedanken doppelt so laut wie zuvor, und er sah sehnsüchtig in Richtung des Essens. Dann bemerkte er Minho, der ihm gegenüber mit verschränkten Armen am Türrahmen zum Schlafsaal lehnte.
Thomas zeigte mit dem Daumen über die Schulter und zog die Augenbrauen fragend hoch.
»Hast du unseren neuen Freund kennengelernt?«, gab Minho zurück, wobei ein Grinsen über sein Gesicht huschte. »Was für ein Typ! So einen krassen Anzug muss ich mir auch besorgen. Ziemlich abgefahren.«
»Bin ich wach?«, wollte Thomas wissen.
»Du bist wach. Jetzt iss – du siehst ja furchtbar aus. Fast so schlimm wie unser Rattenmann da mit seinem beklonkten Buch.«
Thomas stellte mal wieder voller Überraschung fest, wie schnell er die unglaubliche Tatsache, dass ein Mann im weißen Anzug und eine unsichtbare Wand einfach aus dem Nichts aufgetaucht waren, akzeptieren konnte. Er fühlte sich so betäubt wie damals in der Box. Nach dem ersten Schock hatte er sich aber schnell an alles gewöhnt und empfand bald nichts mehr als unfassbar. Er schüttelte den Kopf, schlurfte zu den Fressalien und fing an, alles in sich hineinzustopfen, was in seiner Reichweite war. Noch einen Apfel. Eine Orange. Ein Tütchen Nüsse, dann einen Müsliriegel mit Rosinen drin. Sein Körper schrie nach Wasser, aber er konnte sich noch nicht vom Essen losreißen.
»Mach langsam, du Spinner«, sagte Minho hinter ihm. »Wir haben schon an jeder Ecke Strünke, die sich die Seele aus dem Leib reihern, weil sie zu viel gegessen haben. Das reicht, du Vielfraß.«
Thomas hörte auf zu essen und genoss das Gefühl des vollen Magens. Er wusste, dass Minho Recht hatte. Er nickte seinem Freund zu, schlug einen Bogen um ihn und ging einen Schluck Wasser trinken, wobei er sich fragte, was um Himmels willen wohl als Nächstes auf sie wartete, wenn der Mann im weißen Anzug sich zur »Implementierung von Phase zwei der Tests« herabließ.
Was immer das heißen mochte.
Eine halbe Stunde nach dem Festmahl saß Thomas zusammen mit den anderen Lichtern auf dem Fußboden, Minho zu seiner Rechten, Newt zu seiner Linken. Alle blickten in Richtung der unsichtbaren Wand und zu dem Wiesel von einem Mann, der dahinter am Schreibtisch saß. Er hatte immer noch die Füße hochgelegt und ließ den Blick über die Seiten seines Buches huschen. Thomas merkte allmählich, wie seine Energie zurückkehrte und er sich endlich wieder halbwegs
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