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Die Auserwählten

Die Auserwählten

Titel: Die Auserwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. J. Kazinski
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unerfindlichen Gründen stand in jedem der beiden kleinen Zimmer ein Doppelbett.
    »Wohnen Sie allein?«
    »Wer sollte denn, bitte schön, mit mir zusammenwohnen wollen? Ich bin doch ein Mörder.«
    Hannah sah Niels überrascht an.
    »Warum tun Sie so überrascht? Deshalb sind Sie doch wohl hier, oder? Jedes Mal, wenn in der Nachbarschaft eine Frau vergewaltigt worden ist und die Polizei keine Spur hat, taucht sie hier auf. Wer ist es denn dieses Mal?«
    Niels ignorierte ihn und ging in die Küche. Petersen verfolgte ihn aber mit seiner Frage: »Sagen Sie schon, wen habe ich dieses Mal vergewaltigt? Raus mit der Sprache! Meine Rechnung habe ich aber schon bezahlt.«
    Am Kühlschrank hingen Zeitungsartikel. Ausländerfeindliche Texte aus einer Gratiszeitung: Zwanzigtausend polnische Handwerker in Dänemark. Zweisprachige Schüler kommen schlechter zurecht als dänische. Jede zweite muslimische Frau hat keine Arbeit . Und mitten auf der Kühlschranktür klebte eine Postkarte, die eine lächelnde Pia Kjærsgaard von der rechtspopulistischen Dansk Folkepartie zeigte. Wir brauchen deine Stimme. Niels wandte seinen Blick von der kleinen Galerie an der Kühlschranktür ab und sah Petersen an. Hass war wirklich zur Handelsware geworden. Als könnte man ihn eintauschen und etwas anderes dafür bekommen. In Petersens Fall waren das ein bisschen Unterstützung im Haushalt und eine warme Mahlzeit am Tag. Dafür hatte er der Frau auf dem Kühlschrank seinen Hass verkauft.
    »Was wollen Sie von mir?« Petersens Stimme erstickte in einem Hustenanfall. »Bronchitis«, flüsterte er, bevor die nächste Hustenattacke seine Lungen zu zerreißen drohte. Für den überschüssigen Schleim hatte er einen tiefen, königsblauen Behälter. Konnte es sich dabei um einen Champagnerkühler handeln?, fragte Hannah sich und warf einen Blick in das Gefäß. Das war ein Fehler, und sofort spürte sie die Übelkeit in sich aufsteigen. Mit zwei schnellen Schritten war sie am Fenster und wollte es öffnen, als Petersen mit vor Entsetzen geweiteten Augen schrie:
    »Nein! Die Vögel sind draußen.« Er zeigte auf einen leeren Käfig. Ein Wellensittichpärchen beobachtete Petersens Bewegungen von einem Regal aus, das voller Gläser stand. Erst jetzt bemerkte Hannah die Vogelscheiße, die die ganze Wohnung in Form von kleinen, kreisförmigen, weiß-grauen Flecken in der Größe eines Fünf Ø restücks zierte.
    »Hätten Sie vielleicht die Güte, mir zu erzählen, was der ganze Scheiß hier soll?«
    Hannah begegnete Niels’ Blick. Dieser Mann konnte unmöglich der Gesuchte sein. Das war ausgeschlossen. Im gleichen Moment hörten sie draußen vor dem Fenster einen Helikopter. Dem Klang nach eine große Sikorsky-Maschine, die tief über die Hausdächer flog.
    »Diese Scheiß Hubschrauber. Die landen wirklich Tag und Nacht«, brummte Petersen. Niels und Hannah beobachteten den Helikopter durch das südwestliche Küchenfenster. Er setzte zur Landung an. Petersen beschwerte sich im Hintergrund: »Seit die diesen Landeplatz oben auf dem Krankenhaus gebaut haben, habe ich keine Nacht mehr richtig geschlafen.«
    Niels und Hannah sahen sich an. Hannah sprach den Gedanken als Erste aus: »Das Rigshospital!«

61.
    61.
    Ospedale Fatebenefratelli, Venedig
    Tommaso di Barbara lehnte sich an die Wand. Die Sonne war wieder weg. Er stand allein auf dem Balkon, der häufig von Rauchern genutzt wurde. Zwei überfüllte, bis zum Rand mit Wasser vollgelaufene Aschenbecher mit biblischen Motiven standen auf dem weißen Plastiktisch und zeugten von dem Dezemberregen.
    Der Mönch wollte noch einmal versuchen, Schwester Magdalena zu erreichen, nachdem sie eine halbe Stunde lang wortlos im Raum gesessen hatten. Tommaso musste an den Hund denken. Der Mönch hatte ihm versprochen, nach dem Tier zu sehen, er meinte, es sei wichtig für Tommaso, einen Moment allein zu sein.
    »Ist man dem Tod begegnet, sollte man einen Moment allein für sich sein, bevor man wieder in die Welt hinausgeht«, hatte er gesagt.
    Die Familie. Musste Tommaso jetzt alle anrufen? Die vielen Onkels und Tanten. Mutters kleine Schwester, die sie nicht ein einziges Mal besucht hatte? Er nahm das Telefon aus der Tasche. Jemand hatte ihm eine Nachricht hinterlassen. Doch bevor er sie abhören konnte, hörte er:
    »Das mit Ihrer Mutter tut mir leid, Signore di Barbara.«
    Tommaso bekam einen Schock, die Stimme klang dünn und undeutlich, als hätte sie Tausende von Kilometern zurückgelegt, um zu ihm zu gelangen.

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