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Die Auserwählten

Die Auserwählten

Titel: Die Auserwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. J. Kazinski
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Gummistiefel anzuziehen. Am unteren Treppenabsatz wäre er auf der glatten Stufe beinahe ausgerutscht. Er setzte sich hin, musste einen Augenblick ausruhen. Vielleicht sollte er ganz einfach Flavio anrufen und ihm die Situation erklären. Dass sie auf der Hut sein mussten. Aber nein, dafür war es zu spät. Er musste selbst handeln.

72.
    72.
    Rigshospital, 15.15 Uhr Ein neuer Flur in diesem schier endlosen Universum aus weißen Gängen, geschlossenen Türen und bekittelten Menschen. »Entschuldigen Sie, die Pädiatrie?«, fragte Niels eine Krankenschwester.
    »Nach rechts«, sagte sie.
    »Danke.« Er begann zu laufen.
    Pädiatrie, 15.18 Uhr Die Kinder saßen im Aufenthaltsraum in einem Halbkreis. Zwei waren mitsamt ihren Betten in den Raum geschoben worden, sie waren zu krank, um aufzustehen. Ein junger Mann mit einem rot karierten Hemd saß mit einem Buch in der Hand auf einem viel zu kleinen Stuhl. Über ihm hing ein Plakat: »Triff den Autor deiner Lieblingsgruselserie!«
    »Wie kommst du eigentlich immer auf all diese Monster?«, fragte eine der zarten Stimmen, bevor Niels mit seiner Frage dazwischenplatzte. Die Schwester, die mit einem fünfjährigen Mädchen auf dem Schoß auf dem Boden saß, sah ihn ärgerlich an.
    »Maria Deleuran?«
    »Die sind alle in der Pause, und die Kinder haben Besuch von einem Schriftsteller.«
    »Es ist dringend. Ich bin von der Polizei Kopenhagen.«
    Die Aufmerksamkeit der Kinder richtete sich sofort auf Niels.
    »Können Sie nicht im Pausenraum fragen?«
    Sie lehnte sich zurück und zeigte den Gang hinunter.
    Niels sah auf die Uhr. Er hatte nicht einmal mehr eine halbe Stunde bis 15.48 Uhr.
    Er blieb stehen und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Augen. Waren es die kleinen Kindergesichter, die das Gefühl der Ungerechtigkeit ausgelöst hatten, das plötzlich in ihm aufstieg? So kleine Menschen sollten nicht krank sein. Das musste doch ein Fehler der Schöpfung sein, etwas, für das man von Gott Rechenschaft fordern sollte. Oder war auch das ein Teil des großen Projekts? Er würde versagen. Hannah hatte Recht, so ging es nicht. Dann meldete sich ein anderer Gedanke: Vielleicht war auch das nur wieder ein Resultat seiner Stimmungsschwankungen, die die anderen als manisch-depressiv bezeichneten? War er inmitten einer seiner manischen Phasen? Niels stützte sich an der Wand ab und atmete tief durch. Vielleicht war Hannah ja verrückt, wie Sommersted gesagt hatte. Aber nein: Die Morde hatten schließlich stattgefunden, so unerklärlich sie auch waren.
    Am Ende des Flurs öffnete sich eine Tür, und er sah eine blonde Frau über den Flur laufen und wieder verschwinden. War sie das? »Verdammt! Ich muss mich jetzt konzentrieren«, flüsterte er sich zu und sah einen Sonnenstrahl durch das Fenster fallen.
    Die Kinder lachten mit einem Mal, und dieses freie Lachen weckte wieder seine Hoffnung, und er lief weiter. Hinter der nächsten Ecke hörte er die Stimmen der Schwestern im Pausenraum.
    »Maria Deleuran?«, rief er.
    Keine Reaktion, drei der Schwestern redeten einfach weiter. Niels holte seinen Dienstausweis heraus.
    »Ich suche nach Maria Deleuran.«
    Jetzt verstummten die Stimmen, und alle sahen Niels an.
    »Arbeitet sie heute?«
    »Hier ist sie jedenfalls nicht.«
    Niels sah zu den älteren Schwestern hinüber. Die älteste von ihnen schien sie am besten zu kennen. Auf jeden Fall ergriff sie das Wort. »Ist etwas passiert?«
    »Sind Sie sicher, dass sie nicht hier ist?«
    Der Blick der Schwester zuckte, das entging Niels nicht.
    »Können Sie sie anrufen?«
    »Ich kann es gern probieren.«
    »Könnten Sie sich vielleicht ein bisschen beeilen?«
    Sie sah Niels wütend an. Eine alte Matrone, die ihre Kolleginnen mit ihrer Dominanz einschüchterte.
    »Die Handynummer dürfen wir aber nicht rausgeben, nur damit Sie das wissen.«
    »Sie sollen ja überhaupt nichts rausgeben. Sie sollen lediglich anrufen und sagen, dass hier jemand von der Polizei steht und mit ihr sprechen möchte.«
    »Aber sie ist doch schon gegangen, sie hat schon Feierabend.«
    »Und warum hat sie sich dann noch nicht offiziell abgemeldet?«
    »Manchmal vergessen wir das einfach. Worum geht es denn?«
    »Ich muss Sie bitten, jetzt anzurufen. Sofort!«
    Ich hoffe nur, dass du nicht verheiratet bist, dachte Niels, während sie anrief. Der Mann konnte einem sonst leidtun. Er sah sich um: eine Pinnwand. Postkarten. Tabellen. Bilder. Notizen. Eine hübsche, blonde Frau stand umringt von Kindern in einem

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