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Die Auserwählten

Die Auserwählten

Titel: Die Auserwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. J. Kazinski
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sie sich, dass sie nichts dagegen tun konnten. Als wollte das System es nicht anders, ja, als kämpften sie dagegen an, dass zwei plus zwei nicht vier ergab. Oder dagegen, dass das Auto damals mit Gustav nicht von der Straße rutschte – es war ein Kampf gegen die Naturgesetze.
    ***
    15.39 Uhr Niels rannte um eine Ecke. Mahlers Dritte Symphonie wies ihm den Weg. Auf der chirurgischen Station war kein Mensch zu sehen. Während er weiter hastete, schossen ihm die Menschen durch den Kopf, die er in den letzten zwei Tagen getroffen hatte: Amundsen von Amnesty. Die Leben, die er gerettet hatte, und das seiner Frau, das er im Begriff war, zu zerstören. Niels sah ihr unschuldiges Gesicht noch vor sich, ihre fröhlichen, klaren Augen, als sie ihn im Flur begrüßt hatte. Sie hegte keinerlei Verdacht, war voller Vertrauen und Hingabe für ihren Mann. Und Rosenberg. War es in Ordnung, einen zu opfern, um zwölf andere zu retten? Rosenberg wusste Bescheid. Er hatte versagt. Das änderte aber nichts daran, dass Niels ihn mochte. Nur Thorvaldsen konnte er nicht leiden, dieser Mann war zu sehr von sich eingenommen, war zu sehr überzeugt von seiner eigenen Güte. Ganz davon zu schweigen, dass er für seine Mitarbeiter die reinste Hölle war.
    Die Türen zu den Operationssälen waren geschlossen. Früher waren es einmal die Kirchen, die das Gefühl erweckt hatten, in Verbindung mit dem Jenseits zu stehen, doch die OPs hatten den Kirchen längst den Rang abgelaufen, jetzt waren sie die wahren Heiligen Hallen, weshalb ihn auch die schöne Musik nicht überraschte. OP 5. Eine rote Lampe brannte über der Tür. Kein Zutritt.
    Niels öffnete sie einen Spaltbreit und sah, dass drinnen operiert wurde. Ärzte, Schwestern und Chirurgen arbeiteten konzentriert. Eine Frau trat auf Niels zu.
    »Sie dürfen hier jetzt nicht rein!«
    »Ich bin von der Polizei, ich suche Gry Libak.«
    »Da müssen Sie bis nach der Operation warten.«
    »Nein, es ist dringend, ich muss sie jetzt sprechen.«
    »Wir sind mitten in einer Operation. Was denken Sie denn?«
    »Ich bin von der Polizei.«
    »Unbefugte haben keinen Zutritt«, unterbrach sie ihn. »Auch kein Polizist! Raus!«
    »Ist sie denn da drinnen? Sind Sie das? Sind Sie Gry Libak?«
    »Gry ist gerade gegangen. Und jetzt verschwinden Sie, sonst verklagen wir Sie.«
    »Gegangen? Kommt sie wieder? Hat sie jetzt frei?«
    »Ich mache die Tür wieder zu.«
    »Eine letzte Frage.«
    Niels stellte seinen Fuß in die Tür.
    »Ich rufe den Sicherheitsdienst.«
    »Ihr Leben ist in Gefahr. Sonst wäre ich nicht hier.«
    Die Ärzte hatten nicht aufgeblickt, und erst jetzt sah einer von ihnen zu Niels herüber. Für einen Augenblick wurde die Stille nur durch Mahler und das Piepen der Maschinen gestört, an die der Patient angeschlossen war. Rhythmus ist Hoffnung, ein anhaltender Ton der Tod. Diese Entscheidung hatten wir gefällt. Es war schließlich der Arzt hinter der weißen Maske, der ihm eine Antwort gab: »Vielleicht treffen Sie sie noch in der Umkleide an. Wir sind seit zwölf Stunden hier dran, sie nimmt sich bestimmt ein bisschen Zeit.«
    »Danke. Wo ist die Umkleide?«
    Niels trat einen Schritt zurück, und die Krankenschwester sagte: »Abteilung 2141«, bevor sie Niels die Tür vor der Nase zudrückte.
    Hannah kam ihm entgegengelaufen. »Niels!«
    »Spreckelsen war eine Niete, aber vielleicht Gry Libak …«
    »Wohin?«
    »Umkleide. 2141.«
    Niels sah auf die Uhr. Noch sieben Minuten.
    ***
    Abteilung 2141, 15.41 Uhr Die Frauenumkleide. Lange Reihen glänzender Metallschränke. Dazwischen schmale Bänke. Es war kein Mensch zu sehen.
    Niels rief: »Gry Libak?«, aber nur sein verzweifelt klingendes Echo antwortete ihm.
    »Die Namen hier sind alphabetisch geordnet.«
    Niels dachte nach. Sie hätten hier bei den Umkleiden anfangen sollen. Die Menschen versteckten ihre privaten Sünden und Geheimnisse doch dort, wo ihre Lieben sie nicht entdecken konnten.
    »Du musst ihren Spind finden, Hannah. Gry Libak.«
    »Und dann?«
    »Brich ihn auf.«
    »Niels?«
    »Tu es einfach!«
    Die Vorhängeschlösser an den Türen der Spinde waren bestenfalls symbolischer Natur. Hannah ging an den Schrankreihen vorbei. Jakobsen, Signe. Jensen, Puk. Klarlund, Beate. Kristoffersen, Bolette. Lewis, Beth. Libak, Gry. Sie griff an die Tür. Der Spind war abgeschlossen.
    Niels arbeitete sich in der anderen Richtung des Alphabets vor: Fiola. Finsen. Ejersen. Egilsdottir. Deleuran, Maria.
    Er musste ein Werkzeug finden, irgendetwas,

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