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Die Auserwählten

Die Auserwählten

Titel: Die Auserwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. J. Kazinski
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stürzen, wenn er schlief, fehlten. Ebenso das gedämpfte Gemurmel auf dem Gang, wenn die zum Tode Verurteilten ihren letzten Weg zum elektrischen Stuhl antraten.
    Es war einfach ein ganz gewöhnliches Clubzimmer, in dem es nach Erbrochenem stank. Niels sah sich um. Alles war sauber, aber wie sehr man auch putzte, diesen sauren Gestank bekam man aus dem Gemäuer nicht mehr raus. Vermutlich hatte ein Penner hier seine stinkende Visitenkarten hinterlassen, oder ein Polterabend war aus dem Ruder gelaufen. Die Arrestzellen waren wie Hotelzimmer. Reisende – in gewisser Weise konnte man sie so nennen – kamen an, checkten ein, wohnten dort für kurze Zeit und verschwanden wieder. Der Gast dieses Tages hieß Niels Bentzon.
    Noch einmal ließ Niels seinen Blick durch den Raum schweifen: eine Pritsche, ein Stuhl, ein Tisch, ein Schrank und vier kahle Wände. Jemand hatte ›Scheißbullen‹ an die Wand geschrieben, Schreibfehler inbegriffen. Obwohl man ganz offensichtlich unter großen Anstrengungen versucht hatte, die Worte zu entfernen, waren sie noch gut lesbar. Aber der Ort hatte Potenzial: Eingesperrt . Jetzt mussten sie nur noch ein paar Kisten Dosenfutter zu ihm hereinstellen und den Schlüssel für eine Woche wegschließen.
    Wo war Hannah? Saß sie in einer anderen Abteilung ein? Wurde sie verhört? Oder hatten sie sie gehen lassen? Niels’ Gedanken kreisten um die Verhaftung. Es wunderte ihn, dass sie ihn so schnell gefunden hatten. Vielleicht hatte er das der jungen Frau in dem Kiosk zu verdanken. Wenn er sich richtig erinnerte, gab es an der Brücke keine Überwachungskameras. Aber er gab seine Grübeleien rasch auf. Es war einfach zu lange her, dass er selbst an diesen Jagden beteiligt gewesen war –, und die vielen technischen Neuerungen der letzten Jahre waren größtenteils an ihm vorübergegangen. Vielleicht waren Hannah und er mit Hilfe eines Satelliten gefunden worden, dachte er schließlich.
    Es war kalt in der Zelle. Um Heizkosten zu sparen; aber vielleicht war das auch Teil eines großen Plans. Wenn man den Gefangenen schon nicht das Leben durch Hunger oder Schläge zur Hölle machen konnte, war es doch immerhin möglich, im Winterhalbjahr die Heizung ein wenig zu drosseln. Niels kannte die kleinen Tricks.
    Er hörte eine Tür, die geöffnet wurde. Dann trat eine Frau ein. Lisa Larsson. Ein Name, der auch zu einem Pornomodell gepasst hätte, dachte Niels, als sie sich vorstellte. Oder zu einer schwedischen Krimiautorin. Sie lächelte ihn flüchtig an, aber ihre Stimme hatte nichts Angenehmes, als sie ihn bat, ihr zu folgen.
    ***
    »Sie sind Polizist?« Lisa Larsson – jung, hübsch, kühler Blick – klang aufrichtig überrascht. Niels’ Blick wanderte zu den Weihnachtsmännern in der Fensterbank.
    »Ja. Ich bin polizeilicher Vermittler bei Geiselnahmen. Und wenn es um Selbstmorddrohungen geht.«
    »Warum haben Sie das denn nicht gesagt?« Der andere Beamte, Hans, ein älterer Mann, der Niels an einen Lehrer von früher erinnerte, blickte verwirrt in ein paar Papiere und kratzte sich seinen kurz geschnittenen Bart, der seinem freundlichen Gesicht vermutlich mehr Autorität verleihen sollte.
    Niels zuckte mit den Schultern. »Wie haben Sie mich so schnell gefunden?«
    Sie ignorierten seine Frage.
    »Sie arbeiten in Kopenhagen?«
    »Ja.«
    Sie sahen sich an. Es entstand eine peinliche Pause. Niels hätte es nicht überrascht, wenn sie ihn auf der Stelle freigelassen hätten. Hier musste doch ein Fehler vorliegen. Auch sie schienen der verbreiteten Auffassung zu sein, Polizisten kämen nie mit dem Gesetz in Konflikt. Jedenfalls war es ihnen sichtlich unangenehm, unter diesen Umständen einem Kollegen gegenüberzusitzen. Sie kamen sich unfair vor. Wie Verräter – wenn schon niemand sonst die Polizei mochte, konnten sie nicht auch noch damit anfangen, sich gegenseitig zu verhaften.
    »In Kopenhagen.« Der Mann schob seine Brille zurecht. »Unter Sommersted?«
    »Ja. Kennen Sie Sommersted?«
    »Ein bisschen. Wir sind nicht gerade eng befreundet, haben aber schon ein paarmal miteinander zu tun gehabt.«
    »Sommersted hat keine Freunde.« Niels versuchte zu lächeln.
    »Was ist da in dieser Praxis passiert?« Lisa war weniger gelähmt durch Niels’ Rang.
    Niels sah sie an. Frisch von der Polizeischule. Sie hielt sich an die Regeln. Und erinnerte sich auch noch daran. Er nahm sich vor, während des Gesprächs nur noch sie anzuschauen. Er war bereit, nach den Regeln vorzugehen, und hatte keine Lust auf

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